wie zwei verlierer die welt retteten.

Visite - Der Mann mit dem Tumor am Penis

Um mal ein wenig Rückschau zu halten, liebe Freunde, diese "Folge" vom Patientenblog ist mir eine der Liebsten. Ich schwöre auf Florence Nightingale, kein Funke Fiktion, fast schon Journalismus.

Patientenblog (22) Der Mann mit dem Tumor am Penis

Wir werden alle sterben, dazu kommt - wir werden auf unglaubliche schreckliche Art und Weise dahinsiechen. Es ist sicherlich auch häufig zu ertragen, manchmal sogar gnädig in seiner Schnelligkeit, aber die Mehrheit hat Pech. Und Mehrere erwischen die fürchterlichsten Schicksale.

Jeder Krankenpfleger und auch jeder Arzt, wahrscheinlich alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen haben ihre Horrorstories, für die späten Stunden auf Nachtbarschaftsgrillfesten. Mich persönlich interessieren bei den Kollegen immer gerade die Geschichten und Erinnerungen die sie nur nach Extremsituationen, wie Rea oder körperliche Attacken von desorientierten, Patienten erzählen. Da ich extrem cool bin, habe ich natürlich mehrere von diesen Geschichten die man nur erzählt, während man betroffen in das Nichts schaut. Über den Mann mit dem Tumor am Penis habe ich tatsächlich noch nie mit jemandem geredet. Noch nicht einmal nachdem ich aus dem Zimmer kam.

Ich hatte gerade meinen Spätdienst begonnen, in der Arbeit noch langsam und unsicher, da ich erst seit wenigen Monaten im Klinikum angestellt war. Ohne Ankündigung standen plötzlich eine Ärztin und ein Mann vor mir. Die Ärztin trug ihre blonden Haare zu einem Zopf gebunden, war ungeschminkt, schaute genervt und rollte mit den Augen während sie mit mir sprach. Der Mann wäre vom Hausarzt eingewiesen worden und weigerte sich seinen gottverdammten scheiß Penis zu zeigen. Wir hätten ein Zimmer frei, Oberärztin hätte zugestimmt weil die Urologie schon drei Betten auf dem Flur hat, die zur Entlassung geplanten Patienten wären noch nicht....
Nachdem ich mich achtmal versprochen hatte, wagte ich den letzten Versuch der Mann des Tages zu werden und redete mit tiefer Killerstimme sowas wie "Fuck yeah, ich war der King in der Worpsweder Urologie. Ich hab den richtig ekligen Scheiß gesehen.", ich drückte meine Zigarette auf meiner ausgestreckten Zunge raus und der Patient gab mir High Five.

In Wirklichkeit habe ich ihn in sein Zimmer gebracht. Der Mann setzte sich auf die Bettkante und ich hab "Was für eine Schlampe die Nutte da draussen, oder?" gesagt und dann hat er gelächelt. Das passte aber, für mich, nicht in den Text. Gutes Thema um zum Ende zu kommen, mir ist der Stil von diesem Patientenblog fast schon peinlich, aber mich erschreckt, und das im positiven Sinne, dass es sich (fast) komplett mit meinen Erinnerungen deckt, ich hätte mal mehr rumspinnen sollen. Doch den Penistumor nicht zu beschreiben oder einen Schocksplattermoment zu schaffen, war Absicht oder ehrlich - Unfähigkeit.
Das Grauen dieses Anblicks war einfach zu unbeschreiblich, so etwas fürchterliches möchte ich nie wieder sehen. Der Mann tut mir wirklich sehr leid und ich wünsche ihm alles erdenklich Gute, aber es ist keine Comedy wenn ich behaupte beim Anblick dieses pulsierenden(!) Alptraums die heilige Maria erfleht zu haben. Ich ärgere mich im Nachhinein nicht nach Schmerzen gefragt zu haben, um mal kurz hardcore zu werden, der Tumor schien oben, über dem Penis"ansatz" aus dem Bauch ausgetreten und schlangenartig über den Cock gewachsen zu sein. Die Eichel war eine schwarz, klebrig - suppende, ich weiß es nicht, Gangrän passt wohl am Besten.

Im Text wird Nelkenöl erwähnt und ja, sie benutzen wirklich alle Nelkenöl. Alle Patienten die unter exulcerierenden Tumoren leiden und sie versuchen zu verstecken benutzen Nelkenöl. Nun kann das aber auch eine regionale Sache sein, das weiß ich nicht, aber in drei verschiedenen Krankenhäusern hat diese Art von Patient Nelkenöl zum Mittel der Wahl erklärt. Eine rüstige knapp 60 Jahre alte Wirtin meldete sich mit einem offenem Brustkorb in der Notaufnahme. Der Krebs hatte ihre komplette Brust überwuchert, Fisteln sowie Gangrän gebildet, dadurch kam es dann zu einer Wunde, in der Größe einer Zigarettenschachtel, die einen Blick auf das Bauchfell(?) freigab. Die komplette Notaufname dann so "wtf? haben die gäste nix gerochen?", der erfahrenste Wundexperte, den ich namentlich nicht erwähne, damit sein zurecht hervorragender Ruf nicht von uns Idioten beschmutzt wird, schaffte es gerade so nicht alles in der Notaufnahme vollzukotzen. Um seine Sinne zu akklimatisieren, konnte er nur alle fünf Minuten einen Schritt auf die Frau zu machen.
Es gibt noch tausend andere Beispiele die ich nur von Fotos kenne, sie alle benutzten Nelkenöl. Der steinimkopf. bleibt ein guter Freund und rät dazu sich von Menschen mit Nelkenöl in Griffnähe, so schnell und weit wie möglich zu entfernen, lasst das bitte den Pfleger vom Bahnhofsklo regeln.

Von dem Mann mit dem Tumor am Penis habe ich nie wieder etwas gehört, aber soviel weiß ich, er ist entweder tot oder totunglücklich, sprich zustand nach Amputation und Urostoma Anlage. Und ich habe in meiner Urologie Zeit keine Frau gesehen, die nach einer "bleibenden Penisverletzung" bei ihrem Mann geblieben ist.

Der steinimkopf. hält der traurigen Wahrheit weiterhin den Rücken frei und fordert von euch diesen verdammten Text jetzt zu lesen!




Der Mann mit dem Tumor am Penis sitzt auf einem Bett.
Er schaut auf den Boden und sagt nichts.
Das war ja auch das Problem.

Der Mann mit dem Tumor hatte zu lange nichts gesagt.
Und deswegen saß er jetzt auf dem Bett und schaute auf den Boden.
Sie hatten mich zu ihm geschickt, weil ich der einzige männliche Mitarbeiter war.
Ich stand vor ihm.

"Ziehen sie sich mal bitte aus."
"Ne."
"Herr Frieder sie müssen sich jetzt wirklich ausziehen."
"Ne, ich will mich aber nicht ausziehen."
"Herr Frieder, ich will sie nicht unter Druck setzen, aber ich hab mal in der Urologie gearbeitet."
"Na und?"
"Wenn sie nur den Funken einer Chance haben wollen, dann ziehen sie sich jetzt aus."
"Nein!"

Der Mann mit dem Tumor am Penis ist sturrköpfig.
Ich setze mich zu ihm aufs Bett.

"Herr Frieder, mal ehrlich, wie schlimm ist es denn?"
Er seufzt.
"Sehr schlimm.", er schluchzt. "Verdammt schlimm sogar."
Ich nicke.
"Ja scheiße."
Er wischt sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht.
"Okay, aber nur sie dürfen gucken und die Ärztin, wenn sie denn mal kommt."

Er zieht sich aus.
Und der Mann mit dem Tumor am Penis, ist eigentlich ein Mann mit einem Tumor um den Penis.
Da ist kein Penis mehr.
Da ist Fleisch, da ist Feuchtigkeit, da ist Gestank.
"Oh scheiße, Herr Frieder, wie haben sie das vor ihrer Frau geheimgehalten?".
Er schluchzt.
"Hab getan als wär ich verletzt. Und viel Nelkenöl."
Ich nicke.
"Scheiß Nelkenöl, entschuldigung."

Sie benutzen immer Nelkenöl.
Der Mann zieht die Hose wieder hoch und wir setzen uns wieder aufs Bett.
Mit ein wenig Abstand dieses Mal.
"Und jetzt?", fragt er.
"Die Ärztin kommt gleich, stellt Fragen und dann schauen wir mal weiter, sie müssen auf die Urologie verlegt werden.
Dann kriegen sie einen Katheter. Da bin ich mir sicher. Man muss schauen.".
Er weint.
Ich fahre fort. "Hey, es gibt Schönheitschirurgen. Wie gesagt, in der Urologie hab ich schon schlimmeres gesehen."
Habe ich nicht.
Zwischen den Beinen dieses Mannes ist alles verloren. Das kommt alles weg. Es erinnerte mich ein wenig an Salami Piccolinos.
"Und meine Frau?", fragt er mich.
Ja was weiß ich denn. Meistens kommen sie irgendwann nicht mehr.
"Haben sie Kinder?", frage ich.
"Nein.", er schluchzt.
"Ja....hm...", ich weiß nichts zu sagen.
"Ja, wissen sie, Frauen sind eigentlich ganz okay, die machen viel mit.", mehr fällt mir nicht ein.

Der Mann mit dem Tumor um den Penis ist ein junger Mann.
Nicht mal 50 Jahre alt.
"Ich muss dann auch weiter.", sage ich.
"Jaja, sicher, dankeschön."
"Kein Problem. Wollen sie einen Kaffee?".
"Ne."
"Einen Tee?"
"Nein."

Als ich die Tür aufmache, kommt mir seine Frau entgegen.
Sie ist hübsch.

3 Kommentare:

  1. ...kurz und schmerzhaft(...)!

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  2. "Sie benutzen immer Nelkenöl." aber echt jetzt.

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  3. Mir kann das zum Glück nicht passieren.
    Ich wichse täglich!

    Gez. Hulk

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