wie zwei verlierer die welt retteten.

Letzter Kuss

Sie liegt auf dem Rücken und schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an.
Ich habe noch nie solch grüne Augen gesehen.
Ich beuge mich zu ihr hinunter, meine linke Hand umfasst ihren Kopf, gebe ihr einen langen Kuss. Unsere Atmung synchronisiert sich.
Ihre langen schwarzen Haare liegen wild auf dem weißen Kopfkissen verteilt.
Ich streiche ihr beiläufig eine Strähne aus dem Gesicht.




Wir sind gemeinsam alleine, niemand stört uns, niemand kann uns retten.
Ihre Haut ist Porzellan, ihr Schmerz voller Sinnlichkeit.
Ein jahrhundertlanges Seufzen. In meine Richtung geatmet.
Ihre grünen Augen verfolgen meine Bewegungen.
Sie greift meine Hand und sagt etwas.

Der Regen verliert sich in der dunklen Nacht. Schlägt hart auf dem Gebäude auf.
Die Bäume vor dem Haus biegen sich im Wind und ich flehe sie an noch etwas zu bleiben.
Ich habe zugegeben dass ich mich jeden Morgen mindestens eine Stunde lang übergeben muss. Weil mein Körper es nicht mehr aushält, aber in ihrer Nähe wirkt das nicht besonders wichtig.

Warum ist immer alles so schwer?
Ich hab mein Wohnzimmer gefragt,
und bin dabei eingeschlafen.
Sie haben Freunde und Urlaub,
man sagt mir ich wäre nie alleine.
Warum ich mich trotzdem so fühle?
Ich habe mein Bett und die Nacht auf dem Balkon gefragt.
Vielleicht war ich nicht aufmerksam genug,
aber eine Antwort habe ich nicht gehört.
Das Nasenbluten ist mir zum ersten Mal egal,
und selbst mein nach Ammoniak stinkender Schweiß wird zur Nebensache.
Die Frau mit den schwarzen Haaren braucht mich.


Diese Frau ist etwas besonderes. Denn sie verdient meinen Schutz.
Ich werde sie vor einem großen Fehler retten.
Ich berühre ihren Brustkorb, spüre das weiche Fleisch ihrer Brüste.
Sie atmet langsam und flach.
Ich gebe ihr noch einen langen Kuss. Bitte bleib wach.
Das Zimmer wird von rotem Licht durchflutet.

Sie greift mein Handgelenk und sagt etwas.
Ich kann sie nicht verstehen und antworte "Bitte bleib."
Sie will gehen, ich kann das nicht zulassen und gebe ihr noch einen Kuss.
Meine Hände an ihrem Brustkorb, ich keuche, bekomme schwer Luft.
Von meiner Stirn tropft Schweiß auf ihren Körper.
"Bitte, bitte, bitte - bleib hier."
Aber sie wird nicht bleiben, sie hat zu viel Blut verloren.
Ich gebe ihr einen erneuten Kuss und kann meine Lippen nicht von ihren lösen.
Dann beende ich die Reanimation.

Das Bett schwimmt vor Blut, ich ziehe den durchnässten Verband von ihrem Bauch. Die Wunde stöhnt auf. Die Fäden sind lose, aus der Naht ergießt sich in kurzen Abständen dunkles stinkendes Blut. Ihr Abdomen scheint angeschwollen. Sie muss gewaltige innerliche Blutungen haben, vielleicht sogar die Aorta.
Meine Nase brennt fürchterlich, ich habe zu viel Morphin gezogen.
Ich blicke auf den Monitor. Der Blutdruck ist fast nicht mehr messbar und die Pulsanzeige hat den Dienst aufgegeben. Sie wird sterben. Keine Chance.

Dann wird es laut. Menschen im Raum. Oberarzt und Intensivschwestern.
Niemand will 20jährige Patientinnen sterben sehen, besonders nicht in der eigenen Schicht.
Ich bin an der Reihe mich in die Ecke zu setzen und auf meine roten Hände zu starren.
Ihr lebloser Körper zuckt auf dem Bett hin und her.
Sie schocken und schocken und schocken und schocken.
Ich will das Zimmer verlassen, aber mir fehlt die Kraft.
Ich hebe den Kopf und schaue auf das Bild neben der Tür.
Der Impressionismus und ich haben Nachtdienst.
Eine junge Frau winkt einem Mann mit einem Taschentuch zu.

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