Hospiz und wer das eigentlich aushalten kann.
In vielen Krankepflegeausbildungen darf man erst ab einem bestimmten Lehrjahr im Hospiz arbeiten, an meiner Klinik konnte es durchaus passieren dass man schon im ersten Lehrjahr in die Onkologie oder ins Hospiz kam.
Das hatte sich dann nach unserem Examen erledigt, eine Kurskameradin von mir hatte das Glück schon im zweiten Lehrjahr in ein Palliativkrankenhaus gesteckt zu werden.
Sie hieß Nina und war 28 Jahre alt und seit dreihundert Jahren mit dem gleichen Mann zusammen. Nina gehörte zu diesen komischen Frauen mit Kurzhaarfrisur und komischen Färbungen. Meistens sowas wie Lila oder Pink. Sie trug häufig bunte Brillen und war für mein 18 jähriges Ich die personifizierte Langeweile. Was nicht bedeuten soll dass ich sie für einen Idioten halte, aber wirklich interessiert habe ich mich für sie nie.
Das sollte sich dann schnell ändern.
Ich war gerade in den Untiefen der Urologie verschwunden, meine damalige Freundin wurde in der Inneren mit allen Arten von Stuhlgang beschmissen und Nina durfte zweimal vier Wochen in einem Hospiz arbeiten.
Ich habe dort später auch gearbeitet, und scheiße es war mit das Schlimmste was ich jemals erlebt habe. Es war ein relativ großes Krankenhaus, Palliativ und Onkologie zusammen, wenn man in der Onkologie austherapiert war, konnte man gleich ein Stockwerk höher und in angenehmen Holzambiente sterben.
Ich habe dort fünf Wochen gearbeitet und jeden Tag ist ein Patient gestorben, zumindest war es bei jedem abzusehen, aber es drückt schon auf die Stimmung wenn man jeden Morgen, noch vor dem ersten Kaffee, eine tote Frau in den Keller schiebt.
Der Unterschied zwischen Nina und mir ist wahrscheinlicher kleiner als ich es zugeben will. Aber meine geistige Sollbruchkante ist deutlich stabiler als ihre gewesen, ich hatte eine Freundin die ich wirklich mochte, war noch nicht hemmungslos den Medikamenten verfallen und hatte keine großen Sorgen.
Nina hingegen hatte wohl schon Probleme in ihrer Beziehung, ihr Freund wollt ihr anscheinend keinen Antrag machen und auch sonst war wohl einiges im Argen. Da ich der einzige Junge im Kurs war, wurde mir sowas nicht erzählt, und Nina ansprechen wollte ich nicht, dafür war es mir zu egal und ihre Haare zu hässlich.
Sterbende Menschen können einem Nahe gehen. Die meisten Leute fürchten sich vor Leichen, aber lasst es mich unterstreichen, sterbende Patienten sind schlimmer. Sie betteln dich an, wenn sie nicht wollen dass du sie umbringst dann verhandeln sie um ihr Leben, obwohl es nichts zu verhandeln gibt. Diese Menschen haben große Schmerzen, und Schmerzen machen Menschen hässlich. Sie zwingen dich zum Heulen, du schreist und flehst, wirst gläubig nur um nach zehn Sekunden beten wieder auf Gott zu schimpfen.
Du scheißt dich ein, du kotzt dich voll, die Welt besteht nur noch aus Leid.
Und dann steht man daneben und weiß nicht was man machen soll, da sind 30 Zimmer und in jedem Zimmer ist so ein schreiendes, bettelndes und sterbendes Etwas.
Die Welt verkürzt sich auf deine Arbeit, sie existiert nur noch im Leid. Man kann daran sicherlich wahnsinnig werden, man kann daran wachsen und man kann das bestimmt auch hervorragend meistern. Ich hab mich irgendwie durchgeschlagen, solange man einen Feierabendausgleich hat kann eigentlich nicht viel schiefgehen.
Und falls mir jemand mit "Ich hab im Hospiz auch schöne Dinge erlebt", dann gibt es hier direkt zwei Bitchslaps auf die Ohren. Ich habe in zehn Jahren nicht einen Patienten gesehen der beim Sterben glücklich war.
Das Schlimmste für mich war eigentlich der fehlende Gottesbeweis, wir sind tatsächlich alleine, es gibt niemanden der dir im Sterben hilft. Es tut immer, aber wirklich, immer weh. Es gibt keine Hoffnung, ich habe in zehn Jahren keinen Gott, keinen Funken gefunden und das macht schon sehr nachdenklich.
Was genau Nina in den Wahnsinn getrieben hat weiß ich nicht. Warum es für Auszubildende im Hospiz keine Supervision gibt weiß ich ebenso wenig.
Ich weiß nur dass Nina irgendwann anfing in den Pausen Unsinn zu reden. "Energien klauen, die Mutter meines Freundes saugt uns Beiden Energie aus, deswegen ist er ausgezogen."
Ich stand einmal mit meiner Freundin auf dem Raucherhof während Nina sich an uns anschlich und mir einen "Energiestein" in den Nacken drückte. Ich hab mich natürlich sofort umgedreht und Nina, aus Reaktion, weggeschubst, sie schaute mich an als wären wir in einer Discothek und sie müsste mich jetzt ausknocken. Gott sei Dank war meine Freundin dabei und hat Nina direkt auf Toilette geschleift, dort hat sie lallend von Energiesaugenden Männern geredet und das wir alle morgen tot sind.
Nina ist nach dem Tag nie wiedergekommen und die gesamte Schule war darauf eingestellt dass in den nächsten Tagen ein verdammt anspruchsvoller Amoklauf stattfindet.
Ich denke oft an Nina und wann und warum genau sie ausklinkte.
Irgendwann übermannt einen die Hilflosigkeit, man denkt "All diese Leute sterben, ich kann nichts dagegen machen." und dann sieht man die ganz schlimmen Fälle. Patienten die seit Wochen vor sich hin siechen, bei vollem Bewusstsein langsam, ganz langsam sterben und von dort ist die Idee zur Sterbehilfe nicht weit.
Das ist aber ein Schritt den man nicht gehen darf, weil man irgendwann anfängt Entscheidungen zwischen Leben und Sterben zu treffen. Ich weiß nicht was Nina im Hospiz angestellt hat, aber es gab Gerüchte, fiese Gerüchte.
Das Bewusstsein der Menschen ist für mich ein dunkler Ort unbegrenzter Möglichkeiten. Wir sind zu schlimmen Dingen fähig, du hältst dich auf deinem Sofa für einen guten Menschen, Freundin im Arm und Geld auf dem Konto.
Zwei Wochen später ist alles weg und du bist alleine, deine Freundin hat einen neuen Kerl und du stellst dir vor wie du sie beide zu Tode folterst, hey du würdest es niemals machen, aber was wenn du die Möglichkeit dazu hast? Eine wirkliche und reale Chance sie zu bestrafen ohne jemals erwischt zu werden?
Na ich weiß ja nicht, aber nicht wenige würden sie ergreifen.
Und es ist ja nicht nur das Sterben. Du wäscht eine Patientin beziehungsweise unterstützt sie, denn eigentlich ist sie noch fit, der Darmtumor im Rückgang, eigentlich alles noch ziemlich okay. Visite stürmt das Zimmer und schon kommt die "Sie werden auf jeden Fall sterben"-Diagnose. Aber der Tumor bildet sich doch zurück? "Ja der schon, aber wir haben vier Metastasen in der Lunge gefunden" Schockstarre. Visite verläßt das Zimmer.
Die Patientin fragt dich "Und wie mache ich das jetzt?"
"Was?"
"Sterben? Wie stirbt man denn?"
"Äh."
"Sie müssen das doch wissen, sie haben doch Erfahrung."
"Äh."
Mittlerweile würde ich sagen, "Sammeln sie ihr Morphium, mörsern sie es und ballern sie sich alles durch die Nase, danach eine Überdosis Insulin spritzen und sie gehen mit einem Lächeln von der Welt."
Aber damals war ich im zweiten Lehrjahr, gerade 18 geworden und mir fiel einfach nichts Gutes ein. Im Fernsehen und im Film hat jeder Arzt, jeder Pfleger immer schwerwiegende Worte auf dem Kasten, aber das ist alles ganz schrecklich gelogen.
Ich weiß nicht was Nina erlebt hat, aber schön kann es nicht gewesen sein. In einem Hospiz können komische Dinge passieren, die Patienten sind sowieso alle halbwahnsinnig vor Angst und Schmerz, der Irrsinn ist fast körperlich greifbar.
Doch es gab einen Moment in dem ich fast zersplittert bin, ich weiß nicht genau wie es sich anfühlt geisteskrank zu sein, aber ich behaupte an dem Gefühl "Verrückt zu werden" vorbeigeschlittert zu sein.
Herr Müller war jung, Hospiz-jung. 48 jahre alt. Ein durchtrainierter Mann mit einer hübschen Ehefrau. Dazu auch noch sympathisch und charmant. Ich habe ihm auf seine Frage was er seinem Enkel zum Geburtstag schenken solle einen fürchterlich teuren Mp3 Player empfohlen und weil sein Enkel wohl vor Freude ausgerastet ist, hat er mir das Vorläufermodell geschenkt. Wie gesagt, ein echt netter Kerl.
Leider ein netter Kerl mit Prostatakrebs und Lebermetastasen. Chemotherapie, Bestrahlung - nichts hat geholfen. Herr Müller bekam eine Woche Urlaub um dann zum letzten Mal bei uns einzuchecken. Ich war beeindruckt von seiner Würde, der Mann ließ sich nichts anmerken, trotz Schmerzen und Morphintherapie ging er jeden Morgen joggen und schaute mit mir in der Nachtschicht Fußball, er hatte uns Beiden sogar Bier ins Klinikum geschmuggelt, ich hab natürlich nichts....ah scheiß drauf, wir haben ein Sixpack zerstört und ich bin stolz drauf.
Dinge regeln, Testament schreiben, nochmal spazierengehen, mit der Ehefrau Zeit verbringen, die Familie beruhigen, was man halt so macht wenn man weiß dass man bald stirbt.
Herr Müller sollte auf einem Dienstagmorgen wieder aufgenommen werden, doch erschien er nicht und ging auch nicht ans Telefon. Sein Handy und das seiner Ehefrau war aus.
Ganz schlechtes Zeichen.
Irgendwann hat meine Stationsleitung bei der Polizei angerufen und die haben uns dann aufgeklärt. Herr Müller und seine Frau wirkten immer sehr verliebt und vertraut, ich habe selten so eine ehrlich liebevolle Ehe gesehen.
Seine Frau wollte nicht ohne ihn leben, kann man verstehen, kann man aber auch verachten, ich habe mich nicht entschieden. Die Beiden fassten den Entschluss zusammen zu sterben, am Abend vor der Hospizaufnahme nahmen beide eine Überdosis Morphin.
Leider hatte Herr Müller nicht bedacht, dass er ja schon seit geraumer Zeit Schmerzmittel nimmt und dementsprechend eine hohe Toleranzschwelle hatte.
Um es auf den Punkt zu bringen. Frau sofort tot, Herr Müller lebendig. Gestorben ist er dann drei Wochen später in der geschlossenen Psychatrie.
Das war so hart, so ungerecht und so schrecklich dass ich zum ersten Mal beim Kotzen geheult habe. Wie gesagt, ich weiß nicht was Nina erlebt hat, aber ich kann sie verstehen und es tut mir sehr leid für sie. Davon kann sie sich nichts kaufen, ich sowieso nicht. Will man es pathetisch ausdrücken, würde ich sagen, manchmal infiziert man sich einfach mit Dunkelheit, manchmal kann der Geist den Schmerz nicht mehr aushalten und manchmal wird man daran verrückt.
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.
AntwortenLöschenGanz groß, Scar, ganz groß. Gut dass du zurück bist!
AntwortenLöschenKann mich nur anschließen, schön wieder was von dir zu lesen! Hab doch gewusst, dass es die richtige Entscheidung war den Feed zum Blog zu behalten.
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