wie zwei verlierer die welt retteten.

Vom Unterbrechen der Stille

Sie schaut in den Spiegel und betrachtet ihre Brüste.












Es sind die Brüste einer Mutter.
Das Schweigen in der Wohnung lässt ihr eine Gänsehaut auf dem unbedecktem Körper stehen.
Die Stille, das sind die Schmerzen in ihrem Kopf. Das tut weh.
Das Radio ist manchmal an, aber es ihr zu hektisch, es erinnerte sie unter anderem an Vormittage. Vormittage auf Krankenhausfluren.
Fremde Hände. Ein fremdes Kind im Arm. Das tut weh.
Sie ist ja keine böse Frau. Das käme ihr nicht in den Sinn.

Es ist Sommer und sie sitzt vor dem Fernseher. Gescriptete Realität. Das gefällt ihr. Das ist Kontrolle.
Den Schauspielern geht es schlecht, sie sind Verlierer, sie sind ja auch noch nicht mal richtige Schauspieler.
Sie war heute mit ihm auf dem Spielplatz. Da waren Kinder ohne Augen. Münder die nicht zum Lächeln gedacht waren.
Sie strahlten eine flirrende Aggression aus. Purer Hass auf ihren Verlust an Liebe.
Sie möchte ihnen sagen, dass sie gar nichts dafür kann. Weil die das so gemacht haben.

Die das sind Menschen mit kalten Händen, sterilen Kitteln und guten Ideen.
Man müsste nur seinem Herz folgen und abwarten. Strafende Blicke beim Entbinden, das ist die Wahrheit.
Der Hass versteckt hinter Floskeln, pures Verhöhnen.
Und jetzt ist die Stille da und sie geht nicht weg.
Er hört sich nicht menschlich an, er lispelt, er ist ein Monster.
Aber sie liebt ihn, das weiß sie. Ihr Auftrag.
Obwohl dieses kleine Monster so laut schreit, steht Stille in ihrer Wohnung. Die Stille steht auch in ihrem Kopf, sie liegt auf ihrem Herzen und lässt keine Liebe zu. 

Die Frau neben der Liege hat keine Ahnung was in ihr vorgeht. Sie ist ein schwarzes Loch. Ein schwarzes Loch, dass alles frisst. Alle Ideen, Gedanken und Erinnerungen verbrennen in ihrem Strahlbereich. Dieser Frau mit weißer Kleidung ist nicht klarzumachen, wie sehr es in ihrem Bauch brennt. Wie scharf diese Einsamkeit schneidet. 
Sie macht sich Notizen. Scheiß auf deine Notizen, denkt sie. Bitte hilf mir, fleht sie still.
Durch die Stadt gehen ist anstrengend, überall Gründe weiter traurig zu bleiben. Ihre rechte Hand tut vom ziehen weh. Wie konnte aus ihrem Körper so ein Monster kriechen?

Am schlimmsten ist es, wenn er weint.
Dann hasst sie sich, weil sie an ihrem Auftrag scheitert. Diese Welt ist kein guter Ort für schlechte Menschen wie sie.
Aber woher kommt das? War das nicht mal anders.
Und ob es das war. Der Sommer bestand aus Wärme, Schwimmen gehen und auf dem Balkon sitzen.
Reden, sich mitteilen, nicht alleine schlafen, keine Angst vor der Nacht haben. Ihr Ex-Mann kommt hin und wieder zu Besuch. Sie hasst ihn. Er kann nicht helfen und dabei ist er der Grund für die Stille.
Das ist doch auch ein großes Problem, die Nacht, dunkel und schwarz, träge vor der Tür.
So träge wie die Tabletten sie machen, alles wird zu Brei.

Das Krankenhaus ist direkt vor ihrer Tür. Jeden Tag steht es da.
Es wird nicht weggehen, nichts wird hier weggehen. Es ist unerträglich endgültig.
Wie wäre es denn dem ganzen ein Ende zu setzen? Wäre das nicht eine verlockende Idee?

Die Entscheidung ist gefallen, ja, heute ist ein guter Tag.
Es ist Sommer, die Sonne scheint, sie erstickt ihren Sohn.
Die Luft ist schwül, sie schwitzt, ihre Haut wird von einem Schweißfilm bedeckt.
Sie erschießt ihren Ex-Mann. Hat sie die Herdplatte ausgemacht?
Sie hat eine Wahl getroffen und geht über die Straße, im Treppenhaus war es angenehm kühl.
Ihre Wohnung explodiert, sie ist ja nicht dumm. Sie hat Gas austreten lassen. 
In der Eingangshalle schreien Menschen, es ist trotzdem still.
Der Finger zuckt, es dauert noch nicht einmal eine Sekunde, die Münder gehen langsam auf, die Muskeln spannen sich an, die Menschen wollen jetzt schreien. Türen werden knallen, Schuhe werden Geräusche auf dem Boden machen. Sie drückt zwanzigmal ab, verletzt 18 Menschen. Die Eingangshalle ist ein Schlachtfeld. Sie fühlt immer noch nicht. Sie weint. Und fühlt nur Tränen, aber keine Traurigkeit.
 
Aber nun ist die Stille endlich unterbrochen. Ein Pfeifton im Ohr.
Die Stille ist für immer unterbrochen. Blut auf ihrem rechten Arm.
Sie hat einen Pfleger erschossen, sein weißes Hemd wird rot, es hat ein Ende.
Jemand schreit, jemand gibt Befehle. Sie erschießt einen Beamten. Zum ersten Mal hört sie etwas. Und wenn es nur ein Piepen ist. Ein Pfeifton im Ohr. Wieso hast du das gemacht, Mama? Woher kommt diese Wut? Warum hast du mich nicht geliebt? Wieso haben sie dich gehasst im Krankenhaus? Wieso kannst du nicht normal sein? Mama, wieso hast du meinen Kopf mit einem Stein zertrümmert? War mich zu ersticken nicht genug?
Ihre Haut wird von Kugeln aufgerissen, es riecht nach verbranntem Fleisch, sie bekommt keine Luft mehr, weil jetzt Löcher in der Lunge sind. Sie geht zu Boden. Eine Ballade vom Unterbrechen der Stille. Gesungen von einer kranken Mutter. Sie kann ein Baby schreien hören.

3 Kommentare:

  1. Scar, das ist Klasse! Nach dem ersten Mal weiß man genau worauf du dich beziehst, aber ich musste es danach noch zweimal lesen, um wirklich alles zu erfassen und zu verstehen.
    Sowas hat mir hier in der letzten Zeit doch ein bisschen gefehlt =)

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  2. Danke für diesen Beitrag, hawk. Es versteift sich alles ein wenig zu sehr auf die Krankenhausschiene. Aber damit fängt man Mäuse, nur weiß ausser dir, keiner mehr den dirty Shit zu schätzen! ;)

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  3. Und wo wir gerade bei der guten alten Zeit sind: Wann hört man nochmal was vom Sashman? Künstlerische Schaffenspause?

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