wie zwei verlierer die welt retteten.

Mein Onkel

für Heiko. 
heute verstehe 
ich dich besser
als mir lieb ist. 
es tut mir leid. 

Mein Onkel steht an dem Fenster im Wohnzimmer.
Er ist alleine.
Mein Onkel hat fettige Haare und riecht nach Alkohol.
In der rechten Hand hält er eine Flasche Bier.
Meine Tante steht im Erdgeschoß hinter der Kasse.
Die Beiden betreiben ein Blumengeschäft.



Mein Onkel geht nicht aus dem Haus.
Er mag die Welt nicht mehr
Vor zwei Wochen hat er sich zum ersten Mal seit acht Jahren wieder getraut
die Wohnung zu verlassen. Wir freuten uns, er war freundlich und gut gelaunt.
Er besuchte meine Oma und bedankte sich, er ging zu seinen Stiefbrüdern
und redete mit ihnen über alles,
- einfach alles - 
außer seinen Problemen.



Mein Onkel schaut aus dem Fenster auf die Straße.
Und neben ihm, auf der Vitrine steht ein Aquarium.
Das hat ihm seine Frau zu Weihnachten geschenkt.
Wer ist Fisch und wer ist Mensch?
Wer ist gefangen und wer ist frei?

Sie leben in einer kleinen Straße, mitten in der Altstadt.
Historisch, verwinkelt und lebendig.
Mein Onkel erinnert sich mit Schaudern an die offenen Plätze vor ihrem Geschäft.
Der Himmel ängstigt und droht ihm mit Unendlichkeit.

Die Wohnung ist warm, draussen ist es kalt.
Es riecht nach Blumen, es riecht nach Zigarette.
Mit seinen beiden Händen umklammert er jetzt die Bierflasche,
er umklammert sie wie ein Ertrinkender der ertrinken will.

Die Wand hinter ihm ist mit Fotos behangen.
Die Familie, die Kindheit, sein Sohn,
die Vergangenheit eben.
Die Zukunft hat mein Onkel abgeschrieben, 
es beruht auf Gegenseitigkeit.
Auf einigen dieser Fotos an der Wand, lächelt er,
hält seine Frau im Arm und spielt mit ihrem Sohn.
Das größte Bild ist eine Aufnahme unserer gesamten Familie.

Heute ist Freitag.
Meine Tante wird sich heute Abend mit Jemandem treffen.
Mein Onkel weiß das.
Und für ihn ist das in Ordnung.
Obwohl die Frau - die er doch so liebt - von ihm entfernt lebt,
bleibt sie bei ihm. 
Er hat keine andere Wahl.

Mein Onkel seufzt und trinkt noch einen Schluck.
Hier vor dem Fenster läßt es sich gut trinken.
Er hört eine Stimme und dreht sich um.
Doch da ist nur das leere Wohnzimmer.
Der Esstisch, der Fernseher und der funktionsfähige Betamax. 
                      Heute Nacht wird sich mein Onkel                                erschiessen.

Mein Cousin ist ein schlauer Junge.
Wir sind gut befreundet. Und das wird sich bald ändern.
Weil es für jeden eine Grenze gibt.
Und wenn diese Grenze übertreten wird, gibt es Menschen die nicht schreien
oder durchdrehen - Nein - diese Menschen sagen
"Alles ist in Ordnung."
Sie fragen:
"Was sollte nicht in Ordnung sein?"
Diese Menschen ertrinken in trockenem Salzwasser.

Meine Tante wird in ein paar Wochen erzählen, dass jetzt ihr neues Leben anfängt.
Und da hat sie Recht. 
Meine Tante wird in einigen Monaten einen Freund haben.

Er wird sich um zehn Uhr Abends in das Ehebett legen.
Etwas schlafen.
Dann, spät in der Nacht, wird mein Onkel aufstehen
und sich das Geburtstagsgeschenk seiner Frau anziehen.
Ein selbstgestrickter gelber Pullover.
Mein Onkel wird sich an den Esstisch setzen und einen Brief an seinen Sohn schreiben.
Nachdem er unterschrieben hat, wird er beschließen in den Hinterhof zu gehen.
In der linken Hand das geladene Gewehr aus dem Schützenverein.
Er wird sich neben eine Mülltonne setzen, 
das Gewehr in den Mund nehmen

und dann wird mein Onkel abdrücken.

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