wie zwei verlierer die welt retteten.
Patientenblog 2.1 "und sterbende Menschen machen mir gar nicht soviel Angst"
Ich räuspere mich leise und achte dabei auf meine Körperhaltung. Das ist wichtig, sagt jeder.
"Ich glaube der Tod und sterbende Menschen machen mir gar nicht soviel Angst. Es geht wohl eher um Menschen die... ähm fürchterliche Diagnosen bekommen. Wie soll man mit jemandem umgehen, der seit seiner OP querschnitsgelähmt ist? Ja als das würde mir schon sehr schwerfallen."
Die beiden Frauen nicken verständnisvoll, der Mann rechts hat das "Ja" - Funkeln in den Augen. Ich konnte mir keine Namen merken, der Raum in dem das Bewerbungsgespräch statt findet, hatte mich eingeschüchtert, mir fast die Luft genommen. Mir wurde schlagartig klar, dass ich eventuell schon wieder in Klassenräumen sitzen werde. Die Schule hört einfach nicht auf. Das hatten mir alle schon gesagt, aber ich hatte es nicht ernst genommen.
Sie fragen nach Mobbing. Die Struktur ihrer Sätze ist zu einfach. Sie wollen eine ablehnende Haltung . "Ich wurde selber gemobbt, so etwas lasse ich in meiner Klasse nicht mehr zu." Wieder verständnisvolles Nicken, obwohl mir "nicht mehr" rausgerutscht war. Der Mann rechts greift sich nachdenklich an sein Kinn. Er hat rötliche Haare, sein Bart glänzt im selben Farbton. Die beiden Lehrerinnen sind mindestens über 50 Jahre alt.
Mein Vater hatte mich hierhergefahren und ich weiß gar nicht wieso die Sonne heute scheint. Nein, ich lese kein Horoskop und ich sehe in der freundlichen Sonne kein Zeichen. Ich ärgere mich über mein verschwitztes Äußeres. Gerade in dem Moment in dem sie mich in die Teeküche der Schule schicken wird mir mein Schweiß peinlich. Sechs Mädchen sitzen an einem runden Tisch. In der Ecke ist eine offene Küche. Auf der Spüle stehen selbst bemalte Kafeetassen.
Das hübscheste Mädchen führt das Wort und redet von ihren Praktika, sie erzählt wie toll sie beurteilt wurde und gibt im O - Ton Komplimente von Altenpflegerinnen wieder. Ich setze mich auf das leere Sofa in der Ecke und versuche wegzuhören. Es funktioniert nicht ganz, meine Augen wandern immer wieder zu ihr hinüber, ihre roten Haare sind zu einem Zopf gebunden, ich kann meinen Blick nicht von ihrem Gesicht lösen. Unsere Blicke kreuzen sich für einen Moment und wir schauen beide sofort, peinlich berührt, in die entgegensetzte Richtung. Die anderen Mädchen, es wundert mich ein wenig, unterstützen die Schönheit in ihrem Selbstlob und hören mit offenem Mund zu. Sie sind alle nichts Besonderes, sie sind relativ hässlich und vielleicht kann man in ihrem Äußeren auch den Grund ihrer Aufmerksamkeit finden. Sie ergeben sich dem Schicksal und dem Gesetz der Beautiful People, gut für sie.
Meine Therapeutin hat gesagt, ich soll nicht alles so negativ sehen. Ich weiß nicht recht, für mich hört sich das wie das Gegenstück von "Och nun sei doch nicht wieder so" an. Ich habe oft Kopfschmerzen und schlechte Laune, manchmal weiß ich nicht, was zuerst da war.
Die Therapeutin sehe ich seit einem Jahr nicht mehr, es scheint mir richtig so, ich brauche das nicht. Wir "kamen nicht voran" und sie wollte dass ich ein Pferd streichel. Ja, das ist keine Metapher, ich sollte mit mongoloiden Teenagern Pferde streicheln um an meinem Vertrauen zu arbeiten.
Es ist ein Bild. Ein einfaches noch dazu. Eine Oma im Krankenbett schaut sehnsüchtig auf ein Glas Wasser, an das sie nicht herankommt. "Was fällt ihnen an diesem Bild auf?"
Ich habe immer noch den Drang dagegen zu sein, ich habe den Drang in Druckschrift "Penis" über das gesamte Bild zu kritzeln, aber ich lasse es, ich denke an meine Mutter, das würde sie traurig machen.
Ja, auch die nicht angeschlossene Infusion fällt mir auf, ich bin stolz, das war bestimmt nicht ganz offensichtlich und außerdem ist das Bett zu hoch gestellt, das schreibe ich auch auf meinen Zettel. Danach hebe ich den Kopf und schaue mich um, immer noch keine Birkenstockschuhe in Sicht, ich hatte damit gerechnet, aber manche Klischees stimmen nicht. Es sind ungefähr 30 bis 40 Leute im Raum, der Großteil davon Frauen und die Meisten von ihnen auch noch hübsch. Brav geschnittene Ponys, zierliche Armbändchen, dezent geschminkte Puppengesichter, mein Unterbauch meldet Blutbedarf.
Ob ich Angst vor Blut hätte, haben sie mich gefragt. Wahrscheinlich ist das eine Frage, die sie nach diversen Erfahrungen stellen müssen. Eigentlich unvorstellbar, dass jemand der beim Anblick von Blut in Ohnmacht fällt Pfleger werden will, aber auzuschließen ist es nicht.
Ich stehe vor der Schule und rauche eine Zigarette, während ich diesen riesigen Kasten Krankenhaus anschaue. Sieben Stockwerke, umringt von kleineren Nebengebäuden. Fast alle Fachrichtungen, außer einer Wirbelsäulenchirurgie, im Klinikum vertreten, die Lehrer erwähnten das nicht ohne einen gewissen Stolz.
Auf den Fluren der kleinen Schule waren meist nur Mädchen anzutreffen, setzte mein Herz noch wegen einer Begegnung im Sekretariat aus, so blieb mir an der nächsten Ecke vor Schönheit schon wieder die Luft weg. Ich denke an meine Freundin und vergleiche. Das ist keine gute Idee, sie verliert und ich nehme mir vor zu Beenden was schon immer eine schlechte Idee gewesen war.
Auf dem Platz vor der Schule steht ein großer Aschenbecher, drei Bänke und eine große Hecke die auch die Grenze zum Schotterparkplatz ist. Direkt gegenüber der Schule ist die große Kantine, die wiederum über zwei Brücken am Klinikum angeschlossen ist. Durch die riesigen Fenster der Kantine kann ich weißgekleidete Mitarbeiter sehen.Natürlich gibt es hier keine Pausenklingel, dennoch wundere ich mich etwas als mehrere junge Menschen durch den Haupteingang aus der Schule laufen. Sie sind auffallend sportlich gekleidetet. Jogginghosen für fünfzig Euro und Tops für hundert. In den Zöpfen Haarfarben aller Art, die wilden Mädchen tragen keine BHs und die trainierten Jungs nur Unterhemden.
Die Krankenpflege- teilt sich ihre Räume mit einer MTA - und Physiotherapieschule, ich hatte es dem Flyer schon entnommen. Wirklich hübsche Menschen, blonde Haare, gerade Schultern, kantige Gesichter und deutliche Aussprache. Ich möchte mich verstecken, fühle mich auf einmal erschreckend hässlich. Die Krankengymnasten rennen jedoch schnell weiter, sie fangen an zu joggen, sie werden jetzt trainieren. Gut für sie.
"Und? Wie war's?", mein Vater kommt um die Ecke, er lächelt.
"Gut.", ich drücke meine Zigarette im Aschenbecher aus und fange an zu berichten.
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Reboot gelungen.
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