wie zwei verlierer die welt retteten.

Der Hunger

Die Tapete hängt in Fetzen herunter.
Es liegt nicht an ihrem Alter und damit verbundenen Auflösungserscheinungen.
Es liegt am Hunger.
Abends ist der Schmerz im Bauch am schlimmsten, Abends bekommt der Hund sein Fressen.

In der Ecke neben dem Fenster steht ein Kinderbett.
Nachts kriecht der kalte Rauch in das Zimmer.
Morgens riecht es nach Kaffee in der Wohnung.
Abends ist der Vater lauter, abends ist der Vater betrunken.

Zwei Familienmitglieder in dieser Wohnung reißen sich Haare aus.
Sie reißen sie aus, stecken sie in den Mund und schlucken sie herunter.
Die Tochter hat Mama häufiger gesehen, das war vor hundert Jahren, die Tochter ist älter als ihr Bruder. Vor tausend Jahren an dem großen PC neben dem Fernseher im Wohnzimmer hat sie Mama gesehen.
Wenn es in der Wohnung still ist, dann kann die Tochter die Mausklicks hören.
Abends sind sie weg, abends ist der Vater betrunken.
Ein großer Brocken im sozialen Brennpunkt meiner Stadt.
Im wahrscheinlich 8. Stock ist ein Zimmer mit kaputter Tapete.
Der kleine Bruder hat angefangen.
Nach zwei Versuchen stopft er sich Hände voller Tapetenfetzen in den Mund.
Das ist alles der Hunger und der Hunger ist schlimmer als die Erinnerung an andere Jahre.

Da war noch was. Da waren ungeöffnete Briefe. Da wären noch die ungesehenen Formulare.
Gescriptete Realität, ein Segen, im Nachmittagsprogramm von Mama. Es sind verschwommene Gesichter. Die Schwester denkt an das komische Fernsehbild wenn der AV2 Kanal an ist.
So sehen ihre Gesichter aus und sie weiß, dass Mama so nicht sein sollte.

Was gibt es zu sagen, über Dinge, die man nicht aussprechen kann. Zu viel Ekel, zu viel Ethik. Männliche Geschlechtsorgane an verbotenen Orten. Wir erbrechen das Abendbrot vor dem Fernseher. Eingesperrt im Nichts, zerfickt in der Vierzimmer - Wohnung ohne Sachbearbeiter. Tapete fressen und den Kopf gegen die Wand schlagen, einen anderen Schmerz spüren können, einen anderen Schmerz spüren als, den da unten. Wie kann die Welt so sein, wie sie ist, wenn wir doch hier leben, wenn wir doch wissen, dass es nicht okay sein kann.

so wird sich nicht gewaschen, gib her, ich zeig dir wie das geht.
Heute Abend füttern sie den Hund mit Fünf Sterne Kost, der Rest bekommt einen Nachschlag von der Disney - Tapete. Das tut gut und macht kleine Kinder munter.
meine somerfärien: ich hab mit pappa einen film gedreht...
sei brav! und gib deiner schwester einen kuss!

Nun ist es passiert, ja es ist geschehen. Und das ist nicht zu ändern, nicht weg zu machen. Der Fernseher bleibt ein Fernseher, die Sonne geht trotzdem jeden Abend unter und in diese Wohnung wird eine andere Familie einziehen. Alles was bleibt sind Echos. Echos die durch Jahrhunderte hallen, niemals ankommen werden und diese Kinder auf ewig sterben lassen. Menschen in denen keine Boshaftigkeit existiert, sondern Leere. Eine Leere die physisch schon greifbar ist. Ohne Grund, kein Sinn hinter der Tat. Sie haben keine Hörner.

Sie haben keine Hufen. Keine Dämonen. Sie sind Mutter und Vater. Stehen hinter mir an der Kasse. Wünschen einen guten Morgen und lassen Kinder die Mickey Mouse Tapete fressen. Auf sie wartet keine Hölle, weil wenn wir sie fragen - wieso habt ihr das getan? - wissen sie keine Antwort. Sie fühlen nur die Leere in ihrer Seele. 

Am Morgen ist der Hunger immer noch da. Der Hund ist satt. Der Fernseher leise. Die Handys lauter. Die Tür abgeschlossen. Die Schule ein Märchenschloss. Unerreichbar. Auf der Straße laufen Menschen und Tiere. Die sind satt. Die Mutter hat Übergewicht. Der Vater vielleicht mittlerweile einen Job. Kleine Hände auf der Fensterbank. Fenster die mit Matratzenbezügen zugehangen sind. In meiner Straße, in meinem Haus, in meinem Kopf. Bleiche Füße auf dem PVC Boden. Vielleicht ein altes Buch, schon tausendmal angeschaut. Tausendmal reingewünscht. Tausendmal nicht geklappt. 

Es wird niemals eine Antwort geben, die dich ruhiger schlafen lässt. Es wird keine Antwort geben, die dich von diesen Eltern trennen wird. Es wird keinen Grund geben, der mich zu etwas Besserem machen wird. Sie sind unter uns. Sie sind schon lange hier. Und sie haben ihre schwarze Leere mitgebracht. 

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