wie zwei verlierer die welt retteten.

Patientenblog (31) Die Nacht 2.0

Um 20 Uhr angezogen und motiviert auf Station.
Der erste Weg führt zur Kaffeemaschine. Falls dort kalter Kaffee stehen sollte, weiß man gleich Bescheid,
es gab heute Stress.
Wenn man einer Kollegin begegnet und lächelnd einen guten Abend wünscht und das Fräulein dann nur sowas wie
"Lass mich in Ruhe." "Wenn du wüßtest" engegnet oder einfach  nickt, dann weiß man auch gleich Bescheid.
Da ich aber tolle Kollegen habe, ist das selten der Fall.








Man bekommt eine relativ schnelle Übergabe.
"Herr Müller nervt."
"Frau Hansen stinkt."
"Da und da ist das Labor nicht gelaufen."
"Der diensthabende Art ist ein Trottel und weiß nicht wie man Marcumar Tabletten berechnet."
"Der Verband in der Neun sieht aus wie Scheiße."
Die Kollegen unterhalten sich noch fünf Minuten mit einem und ziehen dann schnell ab.

Man packt sich seinen kleinen "Roller", auf dem sich alle Akten, Kurven, Schlaf- und Schmerztabletten befinden und rockt los.
Es sind ungefähr 16 Zimmer zu bespassen. Die meisten beziehungweise die angenehmen Patienten verlangen nach einer Tablette zum Schlafen, wünschen einen ruhigen Dienst und drehen sich um. Ich liebe es.
Die Verrückten texten einen stundenlang noch zu, weil sie irgendwie denken man hätte jetzt plötzlich Zeit, weil man die einzige Pflegekraft auf Station ist. Den Leidenden reicht es nicht ihr Schmerzmittel zu kriegen, sie müssen noch drei Stunden darüber reden.
Von den Schlaflosen hatte ich ja schon berichtet.
Wenn man es geschafft hat und einigermaßen gut war, dann ist es jetzt 22 Uhr. Häufig kommt aber was dazwischen, eine Notfall OP, ein vollgeschissenes Bett oder eine heulende Kollegin von der Nachbarstation.

Nun geht es an den Papierkram. Kurven weiterschreiben, Berichte schreiben und Tabletten stellen. Wie nervig und anstrengend das sein kann, hab ich ja auch schon erwähnt, nachdem man dann auf ungefähr dreissig verschiedenen Stationen war um zwanzig verschiedene Medikamente zu besorgen, von denen man noch nie etwas gehört hat, kann man dann auch mal eine rauchen gehen.
Weil man ja Krankenpfleger ist, kommen aber andauernd Schwestern und wollen Hilfe, Katheter legen, beim Lagern helfen oder einfach nur bei intimen Offenbarungen dabei sein.
Wenn man dann auch damit durch ist, schaut man auf die Uhr und zack schon 0:30.

Wir machen uns an die Infusionen, eigentlich darf man die noch aufziehen, aber wir sind ja unter uns. Die Infusionen sind für die Frühschicht am nächsten Tag und könnten eigentlich auch später aufgezogen werden, aber in der Nacht macht man den Kram wenn man Zeit hat, denn man weiß nie was für eine Katastrophe noch passieren kann.
Wenn man dann fertig ist und sich aus einem 20 Kilo Berg aus Glucose, Kochsalzlösung und HAES rausgekämpft hat, könnte man noch eine rauchen oder mal die Musik ändern. In den letzten Nächten hatte ich die Weakerthans dabei, ist ein zweischneidiges Schwert, da man in der Nachtschicht für Depressionen sehr anfällig ist. Also Aufpassen!

Man füllt die Fächer auf, Nadeln, Spritzen, Braunülen, Überlaufkanülen, System und was es nicht alles gibt. Wir haben sogar schwarze 50 ml Spritzen, wofür wir die haben weiß keiner, in zwei Jahren wurden die noch nicht benutzt, aber sie sehen verdammt cool aus.
Zwischdrin muss man auch mal was essen, dafür ist man auf die Gnade der Kollegen angewiesen, entweder haben sie ein Mittagessen übergelassen, (das man auch eigentlich nicht essen darf), oder sie haben noch ein paar lecker pappige Brötchen irgendwo hingeschmissen. Wenn man nichts findet, ist der Schokoladenautomat eine gute Alternative, letzte Nacht bin ich zum Beispiel von drei kitkats, zwei Snickers und einem Joghurt satt geworden.

Früher oder später läuft eine Patienten nackt über den Flur oder man wird von einem kotverschmierten Rentner angegriffen.
Da sollte man sich nichts vormachen und die Türen des Stationszimmer geschlossen halten. Ich hatte schon einmal ein Duell mit einem nackten Opa in einem Nebenraum, er wollte mich mit einem Minitaschenmesser fernhalten, aber ich war stärker und schneller. Schlaftabletten haben die Angewohnheit manche Leute etwas durcheinander zu bringen, und Leute die eh durcheinander sind könnten davon mal so richtig verrückt werden.
Gutes Zurreden und Arzt anpiepen hilft.

Man hat auch einige Patienten die in regelmäßigen Abständen klingeln, häufig sind das verwöhnte Privatpatienten die zur Toilette begleitet werden möchten, weil sie Angst haben auf die Fresse zu fallen. Aber man hilft diesen Menschen gerne, denen wird so krass das Geld aus der Tasche gezogen, da kann man sich auch ein wenig Mühe geben.
Es gibt noch tausend Kleinigkeiten die man zu tun hat, es ist anstrengend sie alle aufzuschreiben, sie sind auch sehr uninteressant, Medikamente bestellen, Stationsliste aktualisieren, alle zwei Stunden durch die Zimmer gehen, Arbeitsflächen desinfizieren, die Küche aufräumen und eine Schachtel Kippen rauchen, sowie drei Liter Kaffee trinken.

Ich bin meistens gegen 3 Uhr mit allem durch. Dann wird die Musik lauter gemacht, Kaffee getrunken, ein gutes Buch gerockt, mit dem iPhone gespielt oder man geht mal so richtig lange scheißen.
Manchmal kommt auch ein vollkommen traumatisierter Sicherheitsmann vorbei und trinkt Kakao während er von seinem Bosnieneinsatz damals erzählt. Aber um 4 Uhr geht es schon wieder los, da werden die G.O.M.E.R. gewaschen, die Leute die eh nicht wissen wie spät es ist, kann man auch um die Zeit waschen, damit nimmt man der Frühschicht unglaublich viel Arbeit ab.
Man kann sich mit sowas sehr beliebt machen, aber aufpassen, die Mädels werden sehr schnell verwöhnt und gewöhnen sich an solche Extras.

Am schönsten ist es, wenn man einen Patienten von oben bis unten gewaschen hat, man gerade wieder aus dem Zimmer gehen will und plötzlich ein lauter Furz die Wände erschüttert. Das war dann meistens der Patient und meistens kommt da auch Scheiße mit raus, keine Ahnung wieso, aber alte Leute können nicht furzen ohne zu scheißen. Also alles nochmal von vorne.

Schnell in die Küche gerockt und nochmal Kaffee sowie heißes Wasser angestellt, damit die Kollegen und Patienten auch wach werden. Irgendwann so gegen halb sechs trudeln die ersten Kollegahs dann auch ein und begrüßen meist gut gelaunt den netten Nachtpfleger, weil sie ja wissen was für gute Arbeit er wieder geleistet hat.
Man gibt noch eine Übergabe, wer durchgedreht ist, wer geschlafen hat und wer bald stirbt, dann lästert man noch über hässliche oder besonders dumme Patienten und geht mit den Kollegen eine Zigarette rauchen, bevor die dann wiederum anfangen zu arbeiten.

4 Kommentare:

  1. ...für's Adalat, Männelein. Aber da ihr wohl eher selten akute Herzinfarkte und hypertensiv entgleiste Zeitgenossen auf Station geschoben bekommt, kann man die schwarzen Perfusorspritzen auch wunderbar zur Abschreckung und für Halloween verwenden ;)

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  2. Also ist die dann für einen Adalatperfusor bestimmt oder wat? Ja, wie gesagt, ich arbeite ja nicht auf der Intensiv, da hört man dann wohl doch mal öfter "Adalat". Aber komisch dass wir die Spritzen überhaupt haben.

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  3. Rischtisch!
    Weil: das Zeug ist lichtempfindlich. Dunkle Ampulle, schwarze Spritze, schwarzer Schlauch, Patientenfarbe aber nach Belieben ;)

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  4. danke für die geschichten...waren sehr spannend zu lesen, gut geschrieben.

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