wie zwei verlierer die welt retteten.

Patientenblog (30) Die Nachtschicht

Kommen wir zu meiner Lieblingsschicht, dem Nachtdienst.

Die soll der Beginn meiner jetzt schon sagenumwobenen Trilogie der Schichtdienste sein. Jede Schicht wird in zwei Teile gesplittet.




Ich gebe es ungerne zu, aber der Hauptgrund diesen Beruf zu ergreifen war der Film "Nightwatch". Ein junger Student schiebt Nachtdienst in der Pathologie, es ist dementsprechend ruhig dort und er kann Musik hören sowie Bücher lesen. Yeah. Genauso hab ich mir den Nachtdienst im Krankenhaus vorgestellt und wollte das unbedingt auch erleben. Eine meiner ersten Fragen im Vorstellungsgespräch war: "Wann kann ich Nachtdienst machen?". Wahrscheinlich auch einer der Gründe warum ich eingestellt wurde, denn die Nachtschicht ist sehr unbeliebt unter dem Pflegepersonal.
Man ist auf sich alleine gestellt, niemand hilft einem, denn man arbeitet komplett allein. So wird eine nächtliche Notaufnahme zu einem riesigen Berg Arbeit. Auch ein Arzt ist selten zu sehen, meistens gibt es nur einen Diensthabenden der gleich mehrere Stationen plus Notaufnahme zu versorgen hat.
Man läuft gegen die Zeit, im Winter geht man schlafen wenn es dunkel ist und wacht auf wenn es dunkel ist, dann kann ganz schön deprimierend sein. Wenn man dann frei hat, bekommt man Schwierigkeiten wieder in den Biorhythmus zu fnden usw. Im Prinzip sind die meisten Nachteile einfach die allgemeinen Nachteile der Nachtschicht die sich durch jeden Beruf ziehen. Aber wie eine schreckliche Nacht im Krankenhaus speziell aussehen kann, hab ich ja im Durchgang 2.0 schon erklärt.
Dennoch liebe ich es.

Man ist alleine, niemand redet einem rein, man arbeitet wie man will, die Flure sind leer, draussen ist tiefste Dunkelheit und man schleicht durch die Zimmer.
Ich hab mein geliebtes iPhone dabei und kann Musik hören die ich mag, es ist einfach großartig.
Viele Patienten und Mitmenschen denken dass die Nachtschicht langweilig ist, FALSCH! Es ist sogar ziemlich anstrengend. Schränke auffüllen, eine stupide aber körperlich belastende Arbeit, wuchtet mal zehn Kilo Kartons gefüllt mit Infusionen. Man muss Medikamente nachbestellen, was eine fürchterlich nervige Arbeit ist, Medikamente haben alle komische Namen, sehe häufig gleich aus und wenn man mal falsch bestellt kann es sein, dass man aus Versehen 250 Euro in den Sand setzt, aber meist kann man die Meds dann zurückgeben.
Die Patientekurven müssen weitergeschrieben werden, stellenweise ist man drei Stunden lang nur damit beschäftigt stumpf abzuschreiben. Dazu kommt noch, dass die Medikamente für den nächsten Tag gestellt werden müssen und ich sage euch, dass kann einem echt den letzten Nerv kosten.
Herr Paulsen hat ein Medikament, dass er nur einmal in der Woche bekommt, aber niemand hat eingetragen wann er es zum letzten Mal geschluckt hat, argh. Ein fürchterlich wichtiges Antiobiotikum ist nicht da, und keine Station hat es im Schrank stehen, verdammt. Bei einem neuen Patienten hat der Arzt keine Milligrammzahl dazu geschrieben, fuck off! Und häufig kommt es vor dass man bei 24 Patienten, 36 Problemchen zu lösen hat, das frisst Zeit und, wie gesagt, Nerven.
Infusionen aufziehen, bringt irgendwie Spaß, man kann dabei tanzen und verschiedene Moves einüben, ich versuche immer zu jonglieren und wie ein Cocktailshaker die Flaschen durch die Luft zu wirbeln, mittlerweile hab ich es voll drauf. Aber auch da gibt es häufig die gleichen Probleme wie bei Medikamenten, auf einmal fehlt die Ampulle, dann hast du plötzlich keine Glucose mehr usw...
Und nicht vergessen! Währenddessen klingeln immer irgendwelche Patienten weil sie Schmerzen verspüren, das Bett eingestuhlt haben, mal wieder irgendwas umgeschmissen haben, oder aus dem Bett gefallen sind.
Aber das Schlimmste, das allerallerfucking Schlimmste ist der Satz "Ich kann nicht schlafen"

JA BIN ICH DENN DEINE SCHEISS MUTTER ODER WAS? INTERESSIERT MICH DAS OB DU SCHLÄFST ODER WIE SIEHT DAS JETZT AUS!?!

Ich geb jedem gerne eine Schlaftablette, aber wenn das nicht hilft und die meisten Menschen werden jawohl wissen, dass man nicht ohne Ende Schlaftabletten fressen darf, was soll ich denn dann noch machen.
Ich bin freundlich bis zur Schmerzgrenze, ich lass mir fast alles gefallen, aber da werd ich zu einem fiesen gemeinen Arschloch. Meistens bringen verweichlichte Idioten diesen Nervkram. Kein normaler erwachsener Mann klingelt nach dem Pfleger weil er nicht Heiabubu machen kann.
Es läuft meistens so ab:

Patient klingelt, Strenner geht ins Zimmer und fragt:
"Wie darf ich helfen?"
"Ich kann nicht schlafen."
"Und jetzt?"
"Weiß ich auch nicht."
Strenner starrt den Patienten hasserfüllt an.
Der Patient fragt:
"Kann ich noch eine Schlaftablette haben?"
"Sie haben schon drei Tabletten gehabt."
"Ich kann aber nicht schlafen."
"Guter Mann, ich bin für alles da, wenn sie Schmerzen haben oder sonstwas los ist, kein Problem, immer gerne, aber wenn sie nicht schlafen können, kann ich auch nichts machen, ich kann immer noch nicht zaubern."
"Aber...ich kann nicht schlafen."
"HALT DIE FRESSE DU KLEINES VERWEICHLICHTES STÜCK SOZIALBELASTENDER ABSCHAUM, MACH DIE KLAPPE UND DIE AUGEN ZU, DENK AN DEIN LIEBLINGSKUSCHELTIER UND DANN SCHLÄFST DU AUCH EIN, DU MIESES VERFICKTES STÜCK SCHEISSE, GEH MIR AUS DEN AUGÄÄÄÄÄÄÄNNNN!!!...denkt Strenner dann.

Trotz dieser ganzen nervigen Geschichten gibt es einen großen Vorteil, der mir alles versüßt und mir jede Nachtschicht zum Hit produziert. Ich kann verdammt nochmal Musik hören. Yes, während ich Medikamente stelle rocken Jimmy Eat World ab, während ich Infusionen shake äh aufziehe, spittet der Wu-Tang Clan die dopesten Zeilen und wenn ich Medikamente bestelle lasse ich mich von Paul Kalkbrenner hypnotisieren.
Es ist großartig!

Ein nicht zu vernachlässigender Vorteil sind die ruhigen Nächte. Manchmal hat man relativ wenige intensive Patienten, die Kollegen waren ein Mann mehr im Spätdienst und haben schon vorgearbeitet. Das sind die tollsten Nächte. Man kann sich in ein gutes Buch vertiefen, auf dem Balkon zwanzig Zigaretten rauchen und in den Sternenhimmel schauen, die Mitarbeiterküche mal wieder vernünftig aufräumen und wie eine Hausfrau dabei zu den Beatles mitsingen. Wenn nichts zu tun ist, kann man sich auch mal mit einem schlaflosen Patienten über Gott und die Welt unterhalten. Unter anderem bin ich so an diese  Geschichte gelangt.

Besonders wenn man einen präfinalen (sterbenden) Patienten hat, ist es erfreulich wenn nicht soviel los ist.
Ich kann mir dann Zeit nehmen und vielleicht mit dem Sterbenden ein Gebet sprechen oder einfach nur die Hand halten und Trost spenden. Ansonsten kann man ja nur was gegen die Schmerzen tun und schnell ein paar Floskeln aufsagen, das ist nicht besonders schön oder angemessen.
Es ist peinlich, aber so ein sterbender Patient alleine in der Nacht kann ganz schön gruselig sein, ich bin mal ehrlich, manchmal jagt es einem eine scheiß Angst ein. Man muss zwar nie alleine in die Pathologie, es kommt immer ein Kollege mit, aber dennoch ist es immer wieder fürchterlich gruselig, wenn man den "Kühlschrank" aufmacht und so zwanzig blaubleiche Füße sieht. Die Pathologen haben dann auch noch immer so toll morbide Ausstellungsstücke in den Räumen stehen, missgebildete Säuglinge, rausgeschnittene Karzinome und was man sonst nicht alles für krasse Dinge in Alkohol einlegen kann.

Und wenn um vier Uhr der Feierabend greifbar ist, (Die Schicht geht von 20 Uhr bis 6:30 morgens) ,
man den Kaffee für die Kollegen aufsetzt und sich der Duft im Stationszimmer verteilt, dann ist das mit Nichts zu vergleichen. Eine halbe Stunde später kommt schon der Zeitungsheini und man kann die Nachrichten mit einem frischen Kaffee in der Hand lesen, das sind die Momente in denen man seinen Beruf hemmungslos liebt.

In der nächsten Folge beschäftigen wir uns ein wenig mehr mit den negativen Seiten der Nachtschicht,
ich bedanke mich für eure Aufmerksamkeit und wünsche ein hart rockendes Wochenende. 


PS:
Schon der dreissigste Teil, Kinder, wie die Zeit vergeht. 

8 Kommentare:

  1. Ich kann die Atmosphäre auf den leeren Fluren fast spüren. Den Geruch hab ich ihn der Nase.
    Weiter so.

    datossen

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  2. Super erzählt, als ob man dabei wäre
    Ursula

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  3. "Schon der dreissigste Teil, Kinder, wie die Zeit vergeht. "

    Huuu! Schampus!

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  4. Großes Lob aus dem Süden!
    Weiter so, Junge.

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  5. Wohhoooo! Positives Feedback! Dankeschön. Freut mich extremst.

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  6. Wie immer nice.

    Ich kann mich gut erinnern, dass ich selber mal nach der Schwester geklingelt habe, als ich im Krankenhaus nicht schlafen konnte. Ich schäme mich auch ein bisschen. Allerdings war ich damals 10 und hatte Angst. Hm.

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  7. jetzt will ich auch, dass die bank nachts auf hat.

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  8. Von Kindern erwartet man dass sie klingeln, wenn sie nicht schlafen können. Deswegen ist es ja so nervig, wenn Erwachsene deswegen rumjammern.

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