wie zwei verlierer die welt retteten.

Mit dem Rettungswagen der Sonne entgegen -2-

-Die Sepsis Neu Definieren-

Johannes schlug die Augen auf.
Er drehte sich zur Seite und schaute auf seinen Wecker, der auch gleichzeitig die einzige Lichtquelle im Schlafzimmer war.
19:15
Um acht musste er bei der Arbeit sein, seine Hand griff zur rechten Bettseite und wie nach jedem Erwachen in den letzten drei Jahren, war diese Seite leer.
Johannes quälte sich aus dem Bett und zog die Jalousien hoch, draussen war schon dunkel, Regenwolken hatten die Dämmerung verdeckt.
Das einzige Geräusch der Wohnung war das Regenprasseln an den Scheiben.
Johannes zog sich eine Boxershort an. Er rieb sich mit den Händen durchs Gesicht und ging in seinen Flur. Während er in das Badezimmer abbog, drückte er den Playknopf seiner Stereo-Anlage.
Er hatte in jedem Zimmer Boxen verteilt, so dass er auch beim Duschen Musik hören konnte. Die Stereo-Anlage legte die Eels ein und das passte.
Im Badezimmer angekommen, öffnete er seinen Badezimmerschrank und schluckte trocken zwei Tabletten Bromazepam.
Gerade als er die Schachtel zurückstellen wollte, fiel sein Blick auf den Markennamen. "Oh shit.", Johannes hatte die Schachteln verwechselt, eigentlich wollte er etwas Stilnox schlucken,
so konnte er die Arbeit, nachdem er noch ein Bier getrunken hatte, einigermaßen ertragen. Stattdessen hatte er Downer genommen. "Scheiß drauf.", dachte Downer, Benzos, Schlafmittel, alles das Gleiche.
Er zog die Hose wieder aus und stellte sich unter seine Dusche. Nachdem er den kalten Schock überstanden hatte, genoß er das warme Wasser auf seinem Körper.
Als er fertiggeduscht und abgetrocknet war betrachtete er sein Gesicht im Spiegel, der 3 Tage Bart war jetzt schon ein vier Wochen Bart geworden, die kleinen kahlen Stellen störten ihn gar nicht mehr. Seine Haut war bleich, "Nachtschicht.", dachte er. Sein linker Mundwinkel war etwas eingerissen, er hatte seine Vitamine etwas vernachlässigt. Johannes Haare waren etwas zu lang, sie fielen ihm in letzter immer wieder in die Stirn. Er nahm etwas Haarschaum und kämmte sich einen einigermaßen annehmbaren Seitenscheitel.
Dann zog er sich an und ging in sein Wohnzimmer. Der Tisch war voller Müll und Aschenbechern, auf dem Boden standen ein paar leere Bierflaschen.
Auf den CD-Regalen befanden sich leere Jim Beam Flaschen. Johannes setzte sich aufs Sofa und schaute auf den Tisch.
Ein Foto erregte seine Aufmerksamkeit und er nahm es in die Hand.
Eine junge Frau, schlank, brünett und gut gelaunt. Johannes lächelte. Dann drehte er die Fotografie um und schaute auf die Rückseite. Dort war ein kleines Ultraschallbild angeklebt worden.
Man wusste damals noch nicht genau ob Mädchen oder Junge, Johannes Lächeln gefror. Er legte das Bild wieder auf den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Selbst "Novocaine For The Souls" konnte den Regen nicht übertönen, er griff ein paar Bierflaschen, schüttelte sie, ob nicht noch etwas zu trinken drinnen war. Bei der vierten Flasche hatte er Glück und Johannes nahm einen großen Schluck, den er sofort wieder ausspuckte. "Scheiße. Bah. Fuck!", er hatte einen Zigarettenstummel im Mund.
"Ach scheiß doch drauf." ,flüsterte er und zog sich seine Rettungsjacke an und öffnete die Haustür.


,,Notruf aus der Beckmanstrasse 20, Polizei ist schon da, geht wohl um eine verwahrloste Frau,
kachektisch, die Sache ist kritisch! Notarzt ist noch verhindert, keine akute Geschichte, aber er beeilt sich".
"Scheiße.", fluchte Johannes.
"Was ist denn nun schon wieder?", fragte Stefan genervt. "Andauernd musst du rumjammern.", er schaute nach vorne auf die Strasse.
"Verwahrloste Frau, weißt du was das bedeutet?", Johannes fuhr seit zehn Jahren, Stefan war erst seit Einem dabei.
"Naja, hauptsache wir können helfen, oder?", antwortete Stefan.
"Boah, hör mal auf mit deiner Christenscheiße, Stefan, nein, das bedeutet, Stuhlgang, Pisse, Nekrosen, Maden und den daraus entstehenden Gestank."
"Oh.", Stefan verstand.
"Ja, das wird eine riesige Klärgrube sein."
"Ehrlich?"
"Also bei der letzten verwahrlosten Person haben wir den Torso aus der vollen Badewanne gefischt.", Stefan grinste. "Scheiße, das war eklig. Ich glaub Wiegert hat sogar gekotzt."
"Ehrlich? Der kotzt?"
"Klar, wir kotzen alle."
"Du auch?"
"Ja, ist lange her, aber meistens nur von Alkohol.", Johannes schaltete das Blaulicht an.

Die Beckmanstrasse, hätte Johannes in den Siebzigern als Bonzenviertel bezeichnet.
Mittlerweile war die Straße etwas heruntergekommen. In den Vorgärten wucherte das Unkraut und die Hecken waren seit Monaten nicht mehr gestutzt worden
"Wieso fällt dir sowas eigentlich auf?", fragte Stefan.
"Ich finds wichtig.", antwortete sein Kollege.
"Scheiß Wetter.", fügte er hinzu.
"Schon seit Wochen.", antwortete Stefan, als sein Kollege den Wagen vor der Hausnummer 20 anhielt.
Das Blaulicht des Polizeiwagens warf ein grelles Licht an die Häuser der Strasse.
Es war mitten in der Nacht, trotzdem waren jetzt einige Häuserfenster beleuchtet.
"Verdammte Gaffer.", sagte Johannes.
"Diese Menschen machen sich nur Sorgen um ihre Nachbarn.", entgegnete Stefan.
Johannes schaute ihn an. "Stefan, ich mein, das kann doch nicht dein Ernst..ach, ist auch egal.", er stieg aus dem Wagen aus und bereute es sofort.
Der Regen prasselte unaufhörlich auf ihn nieder, sofort zog er seinen Kragen zu.
Aus dem Haus kamen zwei Polizisten.
,,Wieso kommen sie raus, es regnet, verdammt.", sagte Johannes.
Es waren ein Mann und eine Frau.
Die Frau war hübsch, hatte einen blonden Pferdeschwanz der aus der Mütze hervorguckte.
Ihre Gesichtskonturen waren angenehm weich.
Der Kerl hatte einen Schnurrbart, so wie alle anderen Polizisten auf dieser Welt auch.
"Hier läuft eine Scheiße ab, kann ich ihnen sagen.", der Schnurrbartträger musste lauter
sprechen, der Wind fing an zu pfeifen, er hielt sich seine Mütze fest.
"Lassen sie uns erst mal rein, dachte die Sache wäre dringend.", schrie ich zurück.
"Komm Stefan." Stefan schaute die Polizistin lächelnd an.

Drinnen war es warm.
Ein großes Haus. Nicht unbedingt altmodisch eingerichtet.
,,Es ist schlimm.", sagte die Polizistin in einer viel zu hohen Tonlage, sie wirkte nervös und schaute sich permanent in der Eingangshalle um.
Sie war kärglich eingerichtet. Ein kleiner Teppich, zwei Spiegel links und rechts und einige klassische Gemälde aufgehangen. Johannes fühlte sich unwohl.
Er schaute zu seinem Kollegen rüber und bemerkte, dass dieser nur Augen für die Polizistin hatte.
"Kommt mal mit, Jungs, die Frau braucht Hilfe.", sagte der Schnurrbartpolizist.
Johannes und Stefan folgten ihm in eine kleines Zimmer.

Der Boden war mit weißem Teppich ausgelegt, er war mittlerweile dreckig gelb. Im Zimmer standen ein Sessel und ein Bett. Vorhänge verdeckten das Fenster.
Als erstes fiel einem aber der fürchterliche Gestank auf. Das Bett war aus Holz und wirkte recht alt. Die Person die drin lag, war mit einer groben Stoffdecke bedeckt.
Johannes ging langsam auf das Bett zu und hob die Bettdecke hoch.
Der Gestank wurde schlimmer.
"Paahh, fuck.", Stefan drehte sofort ab und ging wieder in den Flur, er suchte seine Kaugummis. Die blonde Polizistin folgte ihm.
Johannes starrte auf ein ausgeblichenes Gesicht. Die Haut war komplett verkrustet, wie bei einer Schorfwunde. Die Augen geschlossen, die Lippen blutig und offen.
Er zog die Decke etwas weiter runter um ihren Puls zu fühlen.
"Lebt noch.", bemerkte der Polizist aus dem Hintergrund, dennoch fühlte Johannes den Puls.
"Aber nicht mehr lange, wo bleibt Doktor Wiegert denn?", fragte er. Der Polizist blieb still.
Johannes beugte sich zu der Frau hinunter, er unterdrückte ein Würgen. Es roch nach vergammeltem Hackfleisch im Sommer.
"Können sie mich hören?", flüsterte er.
Johannes meinte eine kleine Bewegung in den Augenhöhlen zu erkennen, doch sonst regte sich nichts.
"Falls sie mich hören können, sie sind jetzt in Sicherheit, wir bringen sie ins Krankenhaus. Keine Panik, ja?", er räusperte sich und drehte seinen Kopf zur Tür.
Stefan und die beiden Polizisten flüsterten im Flur miteinander.
"Wir legen ihn einen Zugang, das ist das Erste, okay? Dann gibts ein wenig Flüßigkeit für sie, nix schlimmes. Und wenn wir das geschafft haben,
kommen sie auf eine Trage, okay? Ich hoffe wirklich, dass sie mich verstehen, weil ich gleich einmal unter die Bettdecke schauen werde, ich will nur sehen ob sie noch irgendwo verletzt sind."
Johannes bemerkte dass der Kopf der Frau (?) etwas zitterte.
"Wollen sie etwas sagen?".
Sie öffnete langsam die blutverschmierten Lippen.
Johannes kam noch näher, er hatte sein Ohr zu ihr gewandt.
"....hilfe."



Der Körper der Frau war verdreckt, aber er konnte keine groben Verletzungen erkennen.
Also ging Johannes wieder in den Flur und schaute sie fragend an. "Was zur...? Wasn hier passiert?"
Schnurrbart: ,,Im Nebenraum liegt ein Mann, hat sich in den Hals geschossen, mit nem Schützengewehr, ist wohl abgerutscht, denke der ist tot."
,,Haben sie seinen Puls nicht gemessen?", fragte Stefan.
"Ja ich habs versucht, bin aber auf seinem Gehirn rausgerutscht.", antwortete der Polizist.
Johannes lachte, hörte aber auf als ihn die weibliche Polizistin strafend anschaute.
"Was haben die Beiden miteinander zu tun?", fragte Johannes.
"Sieht so aus, als hätte er sie gefangen gehalten. Nun, jetzt ist er tot.", antwortete die blonde Polizistin.
"Ich schau trotzdem mal nach, Wiegert lässt ja auf sich warten.", sagte Stefan, die Polizistin folgte ihm.
"Die mögen sich was?", fragte der Schnurrbart.
"Scheint zu passen.", antwortete Johannes. "Übrigens", er streckte ihm die Hand hin. "Johannes."
"Ich bin Manfred.", sie schüttelten sich die Hände. Draussen heulte eine Sirene auf "Kripo ist auch schon da, ich geh sie mal begrüßen.", Manfred verschwand aus der Eingangstür.

Johannes kniete sich neben das Bett der Frau um ihr einen intravenösen Zugang zu legen. Es war schwierig, da ihre Haut komplett von Schmutz und Schuppen überzogen war. Johannes schaute auf ihren rechten Handrücken, als ihm auffiel, dass ihr zwei Finger fehlten. Die Wunden waren eitrig verschlossen. Er rief nach dem Polizisten, aber anscheinend hörte ihn keiner. Nachdem er eine Vene unter all dem verkrusteten Schmutz gefunden hatte, kontte Johannes erfolgreiche eine Braunüle legen und hing direkt Jonosteril an.
Danach ging er wieder in den Flur um nach Stefan zu rufen, er wollte die Frau auf die Trage mobilisieren.
"Stefan?".
Er kam um die Ecke, die Polizistin neben ihm, sie kicherten.
"Kopfschüsse sind wahnsinnig lustig, oder?", fragte Johannes.
"Ach sei nicht so, Sarah und ich haben gerade herausgefunden, dass wir beide total auf Jackie Chan stehen."
Johannes schüttelte den Kopf.
"Hallo Sarah, Hallo Stefan, Stefan würdest du bitte die Trage holen? Wiegert scheint ja nicht mehr zu kommen.", Johannes nickte und verschwand.
Sarah schaute ihm hinterher.
"Und Sarah, übrigens fehlen der Frau zwei Finger an der rechten Hand."
"Furchtbar, oder?", antwortete sie wieder in einer höheren Tonlage. "Ich mache sie nervös.", dachte Johannes. "Aber auf keine angenehme Art und Weise."


Sie hatten die Trage genau auf die Höhe des Bettes gestellt.
"Wie kriegen wir sie da rüber?", fragte Stefan. Die Polizei hatte sich in den Raum des vermeintlichen Täters verzogen.
"Hm. Wir nehmen das Rollbrett. Am besten wir schieben das Bett mal von der Wand weg."
Stefan und Johannes zogen das hölzerne Bett von der Wand. Johannes stellte sich zwischen Wand und Bett und drehte die Frau, mit Blickrichtung zu ihm, vorsichtig auf die Seite.
Stefand drehte sich sofort weg und übergab sich auf den Boden, er ging in die Knie und erbrach sofort weiter.
"JESUS CHRI..." er übergab sich noch einmal im Schwall. Japsend hob er den Kopf wieder hoch. "Jesus Christus, Johannes schau dir das an."
Johannes ging auf die andere Seite, die Frau blieb von alleine auf der Seite liegen.
Ihr Rücken war offen, keine Haut mehr und da wo weißes Fettgewebe sein sollte, waren nur schwarze Nekrosen zu sehen und die Nekrosen lebten.
Zwischen ihren Schulterblättern war ein tellergroßes Loch in dem sich unzählbar viele Maden sammelten.
Johannes klappte der Mund auf. Er griff in die Tasche und stopfte sich sofort zwei extra starke Fishermans Friend in den Mund. Stefan stand langsam und unsicher wieder auf.
Das Steißbein war offen, man konnte zwischen dem abgestorbenen Gewebe noch einige Maden und Knochenfragmente erkennen.
"Wieso...", flüsterte Stefan.
"Keine Ahnung, wieso die nicht tot ist.".
"Wir müssen septisch wohl neudefinieren."
Die Beiden standen noch einen Moment nebeneinander und schauten auf den Rücken der Frau.

"Nimmst du sowas mit nach Hause?", fragte Stefan im Pausenraum.
"Nein.", antwortete Johannes.
Sie saßen auf dem Sofa in der Mitarbeiterküche und schauten auf die Kaffemaschine. Sie stand neben der Spüle und war gerade dabei einen Liter Kaffee zu kochen.
Der warme Geruch tat beiden gut, Johannes hatte seine Jacke angezogen und die Füße auf einen Stuhl hochgelegt.
"Willst du mal was wissen, Stefan?", sein Kollege schaute zu ihm herüber.
Johannes räusperte sich.
"Ich nehm zuviel von zu Hause mit auf die Arbeit."
Die Kaffemaschine brodelte weiter und der Geruch von frischem Kaffee spülte ihnen die Erinnerungen weg.
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(Anmerkung: Habs nicht gegengeprüft, bin gerade zu faul, ich hoffe die Fehler halten sich in Grenzen.)

5 Kommentare:

  1. ich hatte schon befürchtet das wird ein simples fortsetzungsding.
    danke, sehr klasse.

    -nase

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  2. Diese Geschichte ist aber völlig neu, oder?
    Gefällt mir recht gut, aber die Einleitung finde ich etwas zu lang; natürlich ist der Hintergrund von Johannes für die Geschichte (und weitere Teile) wichtig, aber ich fand es beim Lesen einfach etwas langatmig und würd's auf das Wesentliche konzentrieren.

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  3. Ja, die Geschichte ist ein wenig neu, ein paar Ansätze wurden übernommen.
    Hm, der Anfang ist dir zu lang? Ja, kann ich verstehen, aber Johannes ist eine Hure und muss im Mittelpunkt stehen.

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  4. Die Einleitung sagt doch erst, was die Geschichte wirklich soll.

    Sehr gut geschrieben.
    Ich mag deine Geschichten etwas lieber als die Gedichte, vom Schreibstil her.

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  5. Snorkgirl hats mal wieder absolut erfasst. Absolut richtig!

    Ich mag meine Geschichten auch lieber als die Gedichte. Meine "Gedichte" sind einfach nur Therapie, da ist gar kein großer Anspruch hinter.

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