Sie
Sie ist alt. Nicht sehr, aber sie ist sicherlich über 50 Jahre alt. Wahrscheinlich beantwortet sie manche Fragen mit der Anzahl ihrer Berufsjahre, wahrscheinlich lächelt sie dabei selbstbewusst. Ihre Name ist Gisela und Gisela ist Stationsleitung der 5a.
Ihre Haare sind grau, ich kenne mich in solchen Dingen nicht aus, aber sie wirken graugefärbt, denn der Ansatz ist bei weitem dunkler, als der hellgraue Pony vor ihrer Stirn. Ihre Lippen sind schmal, der Lippenstift täuscht einen Kussmund vor, der Trick geht auf. Ihr Make - Up ist so dezent und fein aufgetragen wie man es von einer führenden Mitarbeiterin in leicht gehobenem Alter wünscht. Bravo Gisela.
Ich und Sabrina stehen vor unserer baldigen Stationsleitung, wir stellen uns vor. In der Stationsküche riecht es intensiv nach Kaffee, die Vormittagssonne strahlt durch das Fenster, meine Aufregung wird von der Idylle nicht gebremst. Ich habe kein gutes Gefühl, Gisela benutzt hauptsächlich Signalwörter und spricht nur in die Richtung von Sabrina, mein freundlich charmantes Lächeln scheint nicht anzukommen. Es verreckt nach einem halben Meter, wird von Giselas Körpersprache zerschlagen, mein verbindliches Lächeln hat keine Chance, somit sind auch meine Erfolgsaussichten bei dieser Frau bei ungefähr "NULLUNDNICHTS".
Während Sabrina ihr begeistert von diversen Rettungswagenpraktika und Mitgliedschaften bei Rettungsschwimmern erzählt, überlege ich wie dieses fette Stück Lernschwester in einen Badeanzug passen soll. Sie ist zwar meine Kurskameradin und wir sitzen in diesem komischen "gleichen Boot", aber das ändert nichts an dem Ekel den ihre äußerliche Erscheinung bei mir auslöst.
Sabrina besticht mit Topfschnitt, Make Up Verzicht und Phrasengeballer. Sie spricht einen Satz aus der das Wort "Azubiene" enthält, das steinerne Gesicht von Gisela hellt sich auf, sie lacht, ich seufze innerlich, verdammt nochmal, das ist nicht witzig. Selbst die Stimme von Sabrina wirkt dick, ihr Klang ist von Schmalz, ja eventuell von Butter belegt, weil ihr das schilddrüsenbedrohende Fett am Hals die Stimmbänder quetscht, quakt sie wie ein Frosch, Sabrina scheint die Angewohnheit zu besitzen bei Einverständnis mit Gesprächspartner permanent und intensiv zu nicken, ihr "Halsfett" schwabbelt dann von einem Nicken in das Nächste, ich horche genau hin, aber nein, ihre Stimme vibriert deswegen (noch) nicht.
Ich überlege ob ich die sogenannte Initiative ergreife und in das Gespräch einfalle, aber wahrscheinlich gebe ich Gisela damit nur den erwünschten Grund mich sofort hemmungslos zu hassen. Ab und zu huschen ihre Augen in meine Richtung, sie taxiert mich, sie weiß genau was sie tut, wenn ihre Pupillen sich auf meine Person fixieren, dann erkenne ich in ihren Mundwinkeln ein blitzschnelles triumphierendes Lächeln. Sie weiß genau Bescheid, sie zieht gerade einen Plan durch. Den männlichen Auszubildenden offensichtlich ignorieren und nur mit seiner Klassenkameradin reden. Schulhofspiele.
"Und du bistähm.....?" Gisela schaut plötzlich in meine Richtung, ich bewege mich sofort in eine gut erzogen wirkende aufrechte Haltung und sage mit klarer fester Stimme:
"Henry ist mein Name!" niemand kann meine Freundlichkeit durch Unfreundlichkeit brechen, ich lächle als wäre ich auf MDMA.
Ja, natürlich hatten wir uns schon vorgestellt, vielleicht hat sie meinen Namen wirklich vergessen, aber vielleicht weiß sie ihn auch und will mir nur meine Unwichtigkeit vor Augen führen. Mein Blick rutscht kurz zu dem Dekolleté von Gisela, ihr Kasack lässt einen aufschlussreichen Blick zu. Aufschlussreich weil ihre stark gebräunte und lederartige Haut auf eine "Sonnenanbeterin" schliessen lässt, dennoch, Gisela ist nicht hässlich, ihre Brüste wirken groß und das Dekolleté stramm. Dazu kommt, dass einer Stationsleitung, wie ich sie vor mir habe, sicherlich auffallen wird, wenn der Ausschnitt unangemessen viel freigibt,
Gisela wird genau wissen was sie präsentiert, Gisela denkt sie sei hübsch, sie hofft nicht, nein sie glaubt auch nicht, Gisela weiß, dass sie großartig aussieht, junggeblieben ist und sicherlich für einige Männerträume in Sachen Mature, Granny und Housewife, sorgt. Nein, die Welt ist ein Klischee und ich bin geübt.
Sie bemerkt meinen Blick nicht.
Gisela nickt und sagt "Aha.", ich bin wenig beruhigt, vielleicht liegt es an meiner panischen Angst vor dominanten Frauen, aber ich hatte fest damit gerechnet von Gisela gefressen zu werden. Ohne Kommentar mit einem Sprung hätte sie mich gerissen und kommentarlos verspeist.
Aber nein, mir wird es klar, Gisela befindet sich in einer Phase, in der sie mich noch nicht reinen Gewissens hassen kann. Denn sie weiß ja durch Gewissenhaftigkeit und Fleiß zu glänzen und sicherlich geht sie auch mal zum Flohmarkt in das evangelische Gemeindehaus. Gisela ist jetzt erst einmal sauer auf mich, wegen mir Honk muss sie sich jetzt die Mühe machen und eine Handvoll Gründe zu sammeln, damit sie mich offen und ehrlich vor allen anderen Mitarbeitern hassen kann. Sie wird sicherlich noch auf mein junges Alter zurückgreifen. Ich möchte den Gedanken vertiefen, doch ihre ruhige Stimme unterbricht meine Überlegungen.
"Wir haben Männer hier in der Pflege eigentlich nicht so gern."
Manu - Bayern, 2:1
Suckerpunch.
Alle Lichter gehen aus.
Die Worte zahlreich im Geist, aber was soll man auswählen, um einen Satz dieser Wertung rhetorisch zu überleben? Ich bin spontan und versuche es mit "Öhm?".
Es gelingt mir tatsächlich eine wichtige Frage hinterher zu schieben. Wie ein stotternder Motor kommt es mir über die Lippen "Ähm, also und uneigentlich?" Gisela schaut mich hasserfüllt an, die Luft in der Küche ist nicht dick, sie ist Treibsand. Meine Stationsleitung hat ihre Strategie gewechselt, von ihrer Ignoranz ist sie zu aktiver Hassauferklärung gewechselt.
"Was ist das denn für eine Frage jetzt?" Gisela fängt an zu lächeln, sie ist zufrieden Hassphase 1 ist erfolgreich abgeschlossen. Sabrina schaut mich fragend aus ihren, im Fett ertrinkenden, Augen an, für einen kurzen Moment bin ich an eine Kuh erinnert, humoristisch produktiv wären Kaubewegungen ihrerseits, mein Blick geht wieder zu Gisela, ich gebe auf und schweige. Es ist geschafft, die erste Stationsleitung meines Lebens ist auch die erste Stationsleitung die mich hasst, wir gehen jetzt Frau Hansen waschen.
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