wie zwei verlierer die welt retteten.

Patientenblog (46) Sie nannten ihn Pferdemund

Hoffentlich das letzte Zahnarztkapitel

"Also Herr Strenner, wir müssen langsam mal vorankommen, ihr Abszeß hat uns ziemlich zurückgeworfen."
"Jawohl."
"Drei Zähne haben wir ja schon gezogen."
"Wir, natürlich!"
"Haha, sehr witzig, aber ich denke heute sind die anderen drei, auf der gegenüberliegenden Seite dran."
"Verdammt."
"Ach keine Angst, so schlimm wie die Abszeßspaltung wirds nicht. Hahaha."
"Ja, hahaha, witzig!"
"Außerdem hab ich meinen Doktor schon gemacht, nicht wie bei ihnen im Krankenhaus."
"Ich hab doch gesagt, das ich dafür nichts konnte."
"War nur ein Witz. Hahahaha."
"Achso, ja, witzig! Werde ich dann wieder krankgeschrieben? Das geht nämlich nicht."
"Na, jetzt lehnen sie sich erstmal zurück, Herr Strenner."
"Ich setze ihnen jetzt die erste Betäubung, Spritze bitte!"
Er setzt eine Injektion. Der Schmerz ist lachhaft, ein lahmer Abklatsch eines Gefühls.
"Na das ging doch schon sehr gut, jetzt die Nächste."
Meine Nervenende drehen sich in ihrem Bett um und nehmen die ankommenden Schmerzreize nicht mal im Ansatz ernst.
"So, sehr gut, jetzt warten wir erstmal."
Er verläßt den Raum und ich sitze alleine auf dem Behandlungsstuhl.
Langsam kommen die Erinnerungen wieder, er hatte mir drei Zähne gezogen, ich weiß noch nicht einmal mehr ob es schlimm war, die Abszeßspaltung hat jegliche Erinnerungen an Schmerzen komplett ersetzt.
Doch so langsam ahne ich es, es war schlimm. Mein Bauch kitzelt, ja, es war richtig schlimm, durch meinen Kopf schießen krachend knackende Geräusche, splitterende Knochenstücke die mir aus dem Mund flogen.
Oh verdammt ja, stimmt, das Gefühl einer Wurzel die sich aus dem Unterkiefer löst, hatte ich ganz vergessen.
Der Anblick der 8er Zange, die mir den zweiten Zahn komplett zersplittern ließ, so dass mein Zahnarzt kleinste Zahnstücke aus meinem Unterkiefer kratzen konnte.
Ich beruhige mich, versuche es zumindest, die Spaltung, oh ja, die Spaltung war schlimm, das hier ist ein Witz.
Das alberne Sequel nach dem düsteren ersten Teil.

Die Tür geht langsam auf, der Schatten des Arztes den ich verschwommen durch die Milchglasscheibe wahrnehme eine düstere Vorahnung, der Trailer.
Mein Mund ist komplett betäubt, okay, das ist gut, schonmal die halbe Miete.
Zwei Minuten später,

[..]

mit einem krachenden Geräusch entfernt er mir die letzte Wurzel vom ersten Zahn. Er läßt meinen Kopf los, der sich noch eben in dem Schraubgriff seines rechten Armes befand. "Wow Herr Strenner, sie machen gut mit." Ich mache gar nichts, ich halte die Fresse und beweg mich nicht.
"Der nächste Zahn wird schwierig."
Super.
"Der ist wohl morsch."
Tatsache.
"Einmal die 10er bitte."
Die junge Zahnarzthelferin reicht ihm die Zange, obwohl ich nicht hinschauen will, erkenne ich den Griff. Silbern glänzend im grellen Behandlungslicht. "Einmal den Mund weit aufmachen, bitte." 
Ich gebe mein Bestes, spüre wie die Zange den Zahn umfasst, der Arzt hält mich am Unterkiefer fest, er arbeitet mit kräftiger Hebelwirkung. Dann kommen die Schmerzen.

Sie kündigten sich im Oberkiefer an, schleichend.
Dann nahmen sie Anlauf und landeten im Weitsprung auf dem betroffenen Zahn, ein Gefühl, als hätte ich eine Splittergranate im Unterkiefer, eine Splittergranate die permanent explodiert.
Ich stöhne auf.
Hauskatze, was macht deine Katze? Hast du ihr was zu spielen gekauft? Ich sollte ihr wieder was zu spielen kaufen. Wie hieß das dritte Korn Album? Geburtstage deiner Eltern, sofort! Was macht Vattern wohl gerade? Schimpft er mit asiatischen Putzfrauen? Kriminelle Jugendliche haltet eure Pornos fest. Hier kommen echte Schmerzen.
Der Arzt hält inne, bemerkt meine Schmerzen. Er schaut in meinen Mund. "Oh man, Herr Strenner, ihr Glück will ich nicht haben, der Zahn ist komplett vereitert, ich hab mir das wegen der Röntgenbilder fast gedacht, aber das Antibiotikum hätte den Zahn eigentlich streicheln müssen." Ich kann nicht deutlich sprechen, dennoch "PFHÄTSCHE?" "Ja, hätte, hat es aber nicht, ärgerlich, wie sieht es aus, soll ich weitermachen? Der Zahn ist schon gesplittert."
Du brauchst mir nichts zu erzählen, ich weiß wie der Zahn aussieht, ein zersplittertes weißes Etwas aus dem sich gerade ein Haufen Eiter schält, weil du es aufgebrochen hast. Scheiß drauf, mach doch weiter. Wie schlimm soll es denn noch werden!?!
Ich hebe also meine Hand und gebe meinem Doc Thumbs up!
"Hahaha sehr gut Herr Strenner, sie gefallen mir immer besser. Dann mal los, denken sie an was schönes."
Wenigstens schreist du nicht "JETZT!".
Mein Zahnarzt atmet tief ein und bereitet seine "Rausbrechstellung" vor. Mit einem schnellen Ruck ist mein Zahn draussen, ich schreie auf, mein Körper bäumt sich auf, mein Oberkörper schießt nach oben und ich spucke sofort Blut in das Spülbecken. Mir läuft Blut wie fließend Wasser aus dem Mund.
"Das scheint zu bluten.", sagt die Zahnarzthelferin.
Meine Mutter wäre fast an einem gezogenen Zahn verblutet. 
Die Blutung hört nicht auf, es sind vielleicht gerade mal fünf Sekunden vergangen, aber das Blut läuft stumpf weiter. "Herr Strenner, nehmen sie das bitte." Sie halten mir einen kalten Waschlappen auf die Wange.
"Das werden wir nähen müssen."
"Das....(Ich spucke aus) ist doch schwul."
"Ob das homosexuell ist, weiß ich nicht, aber nähen muss ich." Also lasse ich mich erschöpft nach hinten fallen und bewundere die Knotenkünste meines geliebten Zahnarztes. Er macht es gut, es scheint ihm Spaß zu bringen, denn er summt sogar ein bisschen. "Ich mach das echt gerne, Herr Strenner, war immer der Beste in der Uni." Ich nicke bewundernd in seine Richtung und gebe erneut Thumbs up. "Ja danke."

Der nächste Zahn zersplittert bei erster Berührung sofort in tausend Teile, bevor wir weitermachen können, spucke ich mehrere kleine weiße Stücke in das blutverschmierte Spülbecken. "Der ist explodiert, entschuldigung." meinem Arzt scheint das peinlich zu sein. Ich habe den Kopf fast im Becken hängen, gebe aber erneut Thumbs up in Richtung meines Doktors.

"Das haben sie wirklich gut gemacht, Herr Strenner, wirklich."
"Danke."
"Janine, wischst du dem jungen Herrn noch den Mund ab?"
Ich schaue in den Spiegel und sehe mein Gesicht.
Komplett weiss, der Kinnbart voller geronnenem Blut, die Mundwinkel aufgerissen. Ich sehe aus als hätte mir ein Schimpanse zwei Stunden nonstop in den Mund gefickt.  

Es ist vorbei. Die Wunde vom Abszeß ist verschlossen. Alle pathologischen Zähne rausgebrochen oder gezogen. Endlich fängt der gute Teil der Sanierung an, ein schöner Tag! 

2 Kommentare:

  1. "Das....(Ich spucke aus) ist doch schwul."

    Hahaha das sage ich auch immer.

    Und danach schäme ich mich, weil ich in einer Runde von älteren Leuten sitze, die mich verstört anschauen.


    Wie kam es eigentlich zu deinen Zähnen? Nie geputzt oder einfach verdammtes Pech gehabt?

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  2. Ich hoer jetzt lieber auf bei dir zu lesen bis ich meinen naechsten Zahnarztbesuch hinter mir habe. Drei stehen bei mir noch aus und du machst einem da nicht gerade Vorfreude darauf... das ist wie Horrorgeschichten von Fehlgeburten und vorzeitigen Plazentaabloesungen auf Hilfeseiten fuer Schwangere und Erstgebaerende

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