
Ich ignoriere alle anderen Beiträge die ich zu diesem Thema bis jetzt geschrieben habe.
Tabula Rasa, oder so.
Wenn man sich diese Welt so anschaut, und dabei zur gleichen Gruppierung wie ich gehört dann kann es eigentlich nur eine Einsicht geben. -Nichts macht Sinn-
Alles ist umsonst, alles ist bescheuert, da ist nix, da war nie was und sicherlich wird da auch nie etwas sein. Es gibt keinen Gott, keine Werte und keine Moral. Warum auch? Wieso? Wozu? Wozu sollen all diese Werte sein, wenn es doch sowieso nur darum geht, dass du dir beim Abtreten in die Hosen scheißt. Der Sinn des Lebens besteht höchstens darin, dem Leben einen Sinn zu geben.
Ich bin großer Fan von Camus und möchte ihn an dieser Stelle unbedingt empfehlen, er ist nicht ganz so negativ wie sein Kumpel Sartre und auch ein wenig entspannter in Sachen Religion. Die letzten drei Seiten seines Romans "Der Fremde" sind das Beste was ich bis jetzt in meinem ganzen Leben gelesen habe, unbedingt zu empfehlen.
Ich will nicht arrogant werden und von meinem literarischen "Werk" sprechen, aber dennoch zieht sich eine gewisse nihilistische Note durch meine Texte, ich bin zwiegespalten, auf der einen Seite, bestehe ich darauf, dass es einen tieferen Sinn gibt, auf der anderen Seite beschleicht mich die Erkenntnis, dass wir alle am Arsch, alleine und hoffnungslos verloren sind.
Einigen wir uns darauf, dass ich alle zwei Wochen einen Toten finde, jemanden erfolglos reanimiere oder in die Retardation pumpe.
Einigen wir uns darauf, dass ich alle drei Wochen jemanden erfolgreich reanimiere.
Und einigen wir uns darauf dass ich alle zwei Monate dem Sterben eines Menschen beiwohne der noch nicht das 30. Lebensjahr vollendet hat.
Den Scheiß mach ich jetzt seit drei Jahren und wahrscheinlich die nächsten Sieben auch noch. Da kommen so einige tote Menschen zusammen, behalten wir im Hinterkopf, dass es Pflegekräfte gibt, die sich mit ganz anderen Zahlen (im Hospiz) rumschlagen müssen.
Werden wir doch mal emotional und bleiben bei der Wahrheit, egal wie hart und abgeklärt sich jemand gibt. Wenn du vier Nachtschichten hintereinander machst, in der ersten verstirbt dir deine Lieblingsoma, in der zweiten muss Vater Müller reanimiert werden, in der dritten findest du einen Toten und in der vierten Nacht wird dir ein präfinaler Patient aufgenommen. Das macht vier mal purer Tod. Dazu kommen noch die individuellen Geschehnisse, manche Reanimationen laufen super, bei anderen Reanimationen wirst du mit Scheiße vollgekotzt, hast keine Zeit nach Handschuhen zu greifen, dir spritzt Pisse in den Mund und du brichst einer kleinen süßen Oma vier Rippen, obwohl sie eh schon tot, 86 Jahre alt ist und es einfach keinen Sinn ergibt. Nur weil irgendein Arschloch der Meinung ist, dass diese Frau jetzt weiterzuleben hat.
Jetzt kommst. Natürlich find ich das geil. WAS? ER FINDET DAS AUCH NOCH GEIL!?!
Ja, ich find das geil, ich mag das, seid froh, dass es Typen wie mich gibt, betet zum lieben Gott, dass es immer solche Menschen wie mich gibt, denn wenn es solche Ärzte, Doktoren, Anästhesisten und Pfleger wie uns nicht geben würden, dann hätten wir ein großes Problem in der Krankenversorgung, oder etwa nicht?
Aber das ist auch nur die halbe Wahrheit, denn irgendwann ist es nicht mehr "cool". Irgendwann bringt es keinen Spaß mehr, auf Partys bei hässlichen Mädchen damit Eindruck zu schinden, dass man total sensibel und emotional Verantwortung für Menschen trägt. Irgendwann fragt man sich.
Warum eigentlich?
Wozu der ganze Scheiß? Meine Bezahlung ist ein schlechter Witz und steht in keinem Zusammenhang mit meinen Tätigkeiten.
Der Stellenwert meines Berufsstandes in der Gesellschaft steht irgendwo bei "Pisspottschwenker" und "Höhö du bist ne Krankenschwester!", niemand hat auch nur den Hauch einer Idee, was ich und meine Kollegen jeden Tag machen oder zu ertragen haben. Na klar, in geselligen Runden heißt es immer "Ja, aber ich, weil viele Akten und letzt ich musst weil Wert von drei Millionen, dass auch viel Verantwortung und..." dann kommt immer mein großer Moment, ich räuspere mich, rücke die Brille zurecht noch ein Schluck vom Bier, aufstehen und "JA DU ARSCHLOCH DAFÜR WISCHT DU ABER AUCH KEINEN TOTEN MENSCHEN DIE SCHEISSE VOM ARSCH VERDAMMT NOCHMAL!". Dann ist Ruhe. Bringt Spaß, sprengt aber jede Gesprächsrunde.
Ich schweife ab.
Wozu? Wofür? Fürs Geld nicht, das haben wir schon ausgeschlossen, für das....gute Gefühl nach Feierabend? Das einzige Gefühl nach Feierabend ist Rücken- und Hüftschmerz. Da ist keine Befriedigung. Du bist mit deiner Arbeit im Krankenhaus niemals fertig, du übergibst sie nur dem nächsten Dienst. Ja, also wozu dann die ganze Scheiße?
Weil ich glaube. Weil ich nicht nur glaube, nein, weil ich verdammt nochmal darauf bestehe, dass sich der ganze Kram lohnt.
Das es irgendwo eine kleine Gerechtigkeit gibt, und wenn es nur ein angenehmer Tod ist, ich bestehe darauf dass mein Tun nicht umsonst ist. Es ist meine Erlösungskarte, ich bin ein guter Mensch auf der Arbeit, also kann ich mich im Privatleben benehmen wie ich will. Tolle Ausrede, oder? Versuch dagegen anzuargumentieren un... "JA DU ARSCHLOCH DAFÜR WISCHT DU ABER AUCH KEINEN TOTEN MENSCHEN DIE SCHEISSE VOM ARSCH VERDAMMT NOCHMAL!". Hehe, seht ihr? Passt immer.
Es gibt sogar eine Scrubs Folge, in der sich Laverne und Dr. Cox darüber streiten ob es einen Gott gibt oder eben nicht.
Laverne, die Krankenschwester, "gewinnt" die Diskussion, mit dem Argument, dass sie die letzten zwanzig Jahre nur ihren Job machen konnte, weil sie an etwas glauben kann, das hat ihr niemand zu nehmen, sie braucht das und sie glaubt das.
Ja, mir geht es da ähnlich. Ich vergewaltige den Glauben, ich mache ihn mir zu eigen, ist das ein Pseudoglauben? Ist das überhaupt eine Art Glauben? Wer weiß, so weit sind meine dialektischen und rhetorischen Fähigkeiten nicht fortgeschritten, als das ich das beantworten könnte.
Ich hab schonmal geschrieben, dass es Schwestern gibt, die im Zimmer das Fenster aufmachen und eine Kerze anzünden, wenn der Patient verstorben ist. Das Fenster muss auf, damit die Seele zum Himmel fliegen kann. Bevor man sich darüber lustig macht, sollte man überlegen, wie es sich anfühlt einen Menschen (Betonung liegt auf MENSCH) zwei Wochen lang in den Tod zu begleiten, mehr über ihn zu erfahren, als jeder andere, ihm beim Toilettengang zu helfen, ihn zu trösten, wenn er vor Schmerzen nicht mehr aufhören kann zu heulen und schlußendlich die Augen zu zumachen wenn er es hinter sich hat. Ich glaube da ist die kleinste Verrücktheit die man danach begehen kann, ein Fenster für die Seele aufzumachen. Hey, wem es hilft, bitte sehr, meinetwegen mach einen Kopfstand wenn du dich besser fühlst.
-Aber Strenner, du redest doch sicherlich nur von individuellem Glauben, oder? Institutionelle Religionen sind doch voll schwul, oder?
Schau mal, nur Krieg, Hexenverbrennen, mit Nazis im Weltkrieg chillen, Kinder vergewaltigen und Geld anhäufen.-
Weißt du eigentlich wer deine Oma im Krankenhaus besucht? Weißt du eigentlich wer sich um Patienten kümmert, die noch nicht einmal jemanden haben der sie besucht? Genau, die fiesen Vergewaltiger von der Kirche. Man muss da differenzieren, wer die Kirche pauschal verurteilt, der kann meinetwegen auch die gleich die Juden pauschal verurteilen. So einfach geht das leider nicht.
Klar ist der Papst scheiße, da gibt es nichts zu diskutieren, mir fällt jetzt auch kein Pro-Argument für die katholische Kirche ein.
Aber die evangelische Kirche hat bis jetzt zuviel Gutes in meiner direkten Umgebung bewirkt, als das ich etwas pauschal schlechtes über sie sagen könnte. Tut mir echt leid, Mr. Dawkins.
Ihr merkt, hier geht es um Mikro- und Makroebene. Die perfekte Kirche wären für mich ein paar sympathische Typen die sich zusammenschließen und durch die Welt wandern um etwas Gutes zu tun. Keine Tempel, keine Paläste, keine Bücher, keine Dogmen, einfach nur Positives Bewirken, weil die "Brüder und Schwestern" an das Gute glauben. Das ist für mich echter Glauben.
Werden wir etwas ekelhafter und vulgärer.
Wie oft hab ich das schon erlebt. (Okay, ehrlich gesagt, höchstens dreimal)
Ich komme zum Nachtdienst und als Letztes sagen dir deine Kollegen.
"Ach ja und im Untersuchungsraum (Nebenzimmer) liegt Herr Müller. Präfinal, ich hoffe für dich dass er die Nacht noch durchhält."
"Ist er noch ansprechbar?"
"Leider ja."
Okay, wir haben einen Sterbenden der in vollem Bewusstsein stirbt. Ich will eigentlich nicht die Sterbehilfe streifen, da muss ich vorsichtig sein, aber mal unter uns Morphinperfusor anyone? Da waren sogar die Neandertaler humaner, Opa stirbt, schreit, hat Schmerzen, Keule drauf, Ruhe, Opa ist zufrieden, gut gemacht. Aber egal, das klären wir in einem anderen Post.
Du kommst also in dieses Zimmer und stehst vor einem Menschen der am Ende und vollkommen wach ist.
Du gibst Schmerzmittel, er stöhnt immer noch. Du gibst etwas zu trinken, er bricht Stuhlgang ins Bett, du machst ihn sauber, er schreit lauter, weil du ihn dabei bewegen musst. Dann fleht er dich an, den Scheiß doch endlich zu beenden.
Da stehst du jetzt.
Und irgendwann fragt Herr Müller dich ob du mit ihm betest. Wie gesagt, ich glaube nicht daran, dass ich nicht glaube, es sind sicherlich keine göttliche Kräfte die ihm dann zur Seite stehen, aber es gibt ihm Ruhe, vielleicht sogar Kraft, du stehst neben ihm, er spürt deine Körperwärme, spürt deine gefalteten Hände und ihr sprecht im Einklang ein paar Worte. Es hilft, egal wie sehr man nicht glaubt, es hilft einfach. Auch ein Mr. Dawkins wird auf seinem Totenbett, selbst wenn er es nicht sagen wird, zumindest hoffen, dass da jetzt was kommt, das da was Gutes kommt. Ja vielleicht gibt es tatsächlich Atheisten im Schützengraben, nur will ich keiner von ihnen sein, man stirbt immer einsam und alleine, aber wer mit Hoffnung stirbt, dem kann ein wenig Schmerz und Angst genommen werden. Und wer weiß, es gibt keinen Gott, keine Jesu von Nazareth, aber es gibt dich und mich.
Geiler letzter Satz.
AntwortenLöschensuper text strenner!
AntwortenLöschenv.a. der bezug zur kirche in der form wie sie heute ist und sein sollte...die idee von brüdern und schwestern, die einfach nur gutes tun ist zu schön um wahr zu sein (und das im wahrsten sinne des wortes)
ich persönlich würd mich auch eher in der atheistisch-nihilistischen ecke sehen, und auch die arbeit hat mich bisher in keinster weise vom gegenteil überzeugen können; aber die idee dass es einfach menschen gibt die gutes tun um gutes zu tun ist eine die mir sehr zusagt und mich auch schon diverse male beschäftigt hat.
mal abgesehen davon dass du hier echt super beispiele (naja, eigtl heftig, aber weisst schon, ne?) hast ist der text einfach sehr schön zu lesen...ich muss sagen dass ich wirklich ne menge von dem kram, den du erzählst, genau so sehe, und auch wenn dein blog vorher schon sehr lesenswert war, das ist bisher der beste text.
an dieser stelle mal ein "danke" von mir für deinen blog
High Five! Und jetzt zur Frühschicht.
AntwortenLöschenDanke für dein regelmäßiges Feedback! Echt jetzt nä?