wie zwei verlierer die welt retteten.

Patientenblog (35) Notaufnahme Baby

  
Ich hoffe hier habt Spaß beim Lesen, danke für eure Aufmerksamkeit. (Da ich den Text so schnell wie möglich raushauen wollte, entschuldige ich mich auch für Rechtschreibfehler und meinen schlampigen Schreibstil, für Hinweise auf Fehler bin ich, wie immer, extremst dankbar)



Willkommen im Land der stinkenden Männern und verrückten Frauen.
Die Notaufnahme in meiner Ausbildung war relativ ruhig, das lag an der örtlichen Lage, in einer Notaufnahme in Hamburg geht wahrscheinlich die Post ab. Bei uns waren es hauptsächlich intensivste Wunden.
Durch die ländliche Umgebung kamen bei uns viele Bauern in die Aufnahme. So richtig alte einheimische Bauern gehen erst wenn es schwarz wird zum Doktor. Das sind sehr fleißige und harte Typen, auf der einen Seite steht der Fleiß, auf der anderen die Ablehnung von medizinischer Versorgung.

Die Leitung der Notaufnahme war ein europaweiter Bekannter Wundenexperte, der Mann hatte eine dementsprechende Ansammlung von Fotos, die jede Ausbildungsklasse im dritten Lehrjahr zu sehen bekam. Da werden einem im Sekundentakt die tiefstens, chronischsten und produktivsten Wunden gezeigt. Unter anderem von einem Jungen der drei Jahre lang nicht behandelt wurde, weil seine schwerst psychotische Mutter ihn vor der Öffentlichkeit abgeschottet hatte. Ungefähr zehn Jahre alt, hatte er über mehrere Jahre einen Gips am rechten Bein getragen. Die Auswirkungen sind schon fast gar nicht zu beschreiben, die Wundversorgung konnte nicht weitegeführt werden und so entwickelten sich feuchte Nekrosen.

Am liebsten habe ich in der Spätschicht gearbeitet, da kamen die relevanten Fälle. Vormittage sind voller gefallener Kinder, verschleppter grippaler Infarkte und Mädchen mit Bauchschmerzen. Am Nachmittag, bzw am frühen Abend kommen die Menschen die es nicht mehr länger aushalten. Viele Patienten kommen dann wieder Nachts, es gibt weniger Ablenkung, der Mensch konzentriert sich mehr auf den eigenen Körper und wenn man versucht einzuschlafen, dann kann einen schon der eigene Puls im Ohr stören.

Trotz der ländlichen Lage gab es immer wieder härtere Aufnahmen, aber die kommen meistens sofort in den OP, gerade als junger Auszubildender kommt man da auch nicht in die Nähe, da muss Platz für Ärzte und erfahrene Pfleger sein.
Hauptsächlich habe ich Blut abgenommen und weggebracht, Zettel gedruckt, Patienten hin- und hergeschoben und Fächer befüllt.
Für mich war eigentlich das Verständnis des gesamten Aufnahmeprozesses am Interessantesten.

Die meisten Menschen machen sich keine Gedanken über Krankenhäuser und Notaufnahmen solange sie nicht zwangsläufig damit in Kontakt kommen. Häufig besteht der einzige Kontakt mit Medizin im Aufsuchen des Hausarztes. Dort gibt es Termine und in der Sprechstunde geht es alles hübsch nach chronologischer Reihenfolge.
Das ist in der Notaufnahme anders.

Das ist dann schwierig zu verstehen, da läuft doch ein Arzt lang, wieso kümmert der sich nicht um mich? Wieso kommt die Frau neben mir früher in das Behandlungszimmer, obwohl ich vorher da war? Wieso braucht der Arzt der sich eben noch um mich gekümmert hat, eine Stunde um wieder zu kommen? Wieso holt mich keiner von der Station (auf die ich verlegt werde) ab?
Das sind natürlich alles frustrierende Fragen, aber ehrlich gesagt, ist es noch frustrierender wenn man genau weiß was da abläuft und im Wartezimmer der Aufnahme gefangen ist.

Nach meiner Ausbildung hab ich mir die Hand gebrochen und musste damit ins Krankenhaus.
Ich konnte selber hinfahren und war dementsprechend kein Notfall, mir war aber klar, dass der Bruch gegipst und notfalls noch gerichtet werden muss. Im Wartezimmer saßen vier Patienten, zwei ältere Herren, ein Ehepaar mit schreiendem Kind und zwei kichernde, offensichtlich beschwipste Mädchen. Es war ungefähr 19 Uhr. Zu meinem Pech bin ich in die Notaufnahme meines Arbeitsgebers gegangen. Da ich aber erst vor kurzem dort zu arbeiten angefangen hatte, war mein Gesicht noch nicht bekannt.
Ich war inkognito.

Zuallererst wurde das schreiende Kind behandelt, selbstverständlich, das konnte ich akzeptieren. Die älteren Herren hatten oberflächlich nichts, und die zwei Teenager warteten allem Anschein nach auf eine Freundin die wahrscheinlich zuviel getrunken hatte. Was musste das Notfallpersonal also tun um mich zu versorgen?
Einen Arzt anpiepen. Die meisten Leute denken, dass sich permanent ein Arzt in der Notaufnahme befindet, das ist falsch. Ab 18 Uhr wird mit Dienst gearbeitet. Da ist ein Arzt für alle chirurgischen Stationen zuständig, ein Arzt für alle urologischen Stationen zuständig und so weiter. Vormittags hat man das Vierfache. Dementsprechend dauert das auch alles. Dafür hatte ich auch Verständnis. Nachdem alle Patienten vor mir behandelt wurden und eine Stunde vergangen war (21 Uhr), habe ich dann nachgefragt.
Der Supergau war eingetreten, der diensthabende Chirurge musste der Polizei Frage und Antwort stellen. Mir ist klar, das die Polizei keine Rücksicht auf Dienste anderer Berufsgruppen nimmt, aber sie nehmen wirklich absolut keine Rücksicht, so richtig gar keine Rücksicht. Ich rechnete mit ein bis zwei Stunden weitere Wartezeit.
Aber die MTR lief die ganze Zeit über den Flur, einmal sogar mit Kaffeetasse, mein geübtes Auge ließ mich kombinieren, so beschäftigt war die Frau nicht.

Ich sprach sie direkt an, ob sie nicht schon einmal ein Röntgenbild von mir machen könnte. Es war ja offensichtlich dass meine Hand gebrochen war, geschwollen, verfärbt, meine Finger standen komisch ab, ich sah eben aus wie ein Typ mit ner gebrochenen rechten (Wichswitz hier einfügen) Hand. "Das geht nicht.", war die Antwort, das war aber nur die halbe Wahrheit. Natürlich geht das, es entspricht aber nicht dem Arbeitspfad. Ich hielt es trotzdem für eine gute Idee, so hätten sie wenigstens mich schnell durchschleusen können. Ich wollte nur die Bestätigung und den Gips.

Ich möchte gar nicht wissen, mit was für Problemen man sich in einer Großstadt, in der Notaufnahme, rumschlagen muss.
Ich denke da vor allen Dingen an die Drogenabhängigen, die sich ja wirklich viel einfallen lassen, um an Schmerzmittel zu gelangen.
Oder ganz einfach die Sterbefälle in der Aufnahme. Alleine wenn man eine Neurochirurgie im Haus hat, bekommt man wahrscheinlich übelst zugerichtete Unfallopfer. Sowas muss ich persönlich nicht haben, Emergency Room sieht im Fernsehen ja cool aus, aber in der Wirklichkeit ist es doch viel weniger stilvoll, sondern einfach nur scheißanstrengend und ernüchternd.
Wenn ich überlege, wieviele Drogenabhängige wir schon in die Aufnahme bekommen haben, obwohl wir Dörfer um uns herum hatten. Ich hab mich immer gefragt, wo die Leute ihr Heroin herbekommen. Aber anscheinend wird auch auf Dörfern hart gedealt.
Wahrscheinlich wird in jedem Fleck der Erde mit irgendwas gedealt.

Die Spritzenabszeße sind am schlimmsten gewesen. Das sind so ekelhafte Eiterergüße die sich durch pathologisch bedingte Gewebseinschlüße bilden. Unsere Doktoren haben kleinen jungen Mädchen golfballgroße Eiteransammlungen aus den Armen, Beinen und (am unangenehmsten) aus den Leisten gekratzt. Ich habe jedes Mal wieder ungläubig auf die riesigen Löcher in den Körpern gestarrt, Heroin habe ich seit der Zeit aus der Lebensplanung gestrichen, sobald bei mir aber Lungenkrebs festgestellt wird, könnte sich das aber ändern, da würde ich auch an einen Schnurrbart und Kurzhaarfrisur denken.

Irgendwann um 22 Uhr wurde meine Hand durchleuchtet. Gebrochen und leider waren die Knochenenden verrutscht.
Mir musste der Bruch gerichtet werden, das tat weh, ich hab geweint und geflucht, hätte man mir einen Teddybär angeboten, ich hätte ihn in den Arm genommen.
Danach verschwand der Arzt in den OP, das werde ich ihm niemals verzeihen, er hätte nur mit mir reden und die Anweisung fürs Gipsanlegen geben müssen. Den Gips legt nämlich der Pfleger an.
Mittlerweile war ich absolut alleine im Wartezimmer und auch komplett der Einzige Patient in der ganzen Notaufnahme. Ich konnte das Pflegeteam in der Küche lachen hören.

Spannend waren die psychiatrischen Einweisungen. Bedingt durch unsere geschützte (geschlossene) Psychiatrie, flogen uns die psychotischen Frauen und Männer um die Ohren. Es ist schockierend, aber ich war geil auf Polizei und Bombenandrohungen, Messiagskomplexe, Schreianfälle und Faustschläge gegen Sanitäter. Unter anderem durfte ich zweimal wegrennenden Patienten durch das Krankenhaus folgen. Der Eine versuchte durch den Haupteingang zu entkommen, die Besucher haben alle geschrien, er auch, ich sowieso und irgendwann hat ihn der Sanitäter dann auf dem Parkplatz gespeartackled.
Gemein, ich weiß.

Um 0:30 saß ich mit einem frischen Gips im Taxi auf dem Weg nach Hause.

3 Kommentare:

  1. jaja, Notaufnahme ist schon was für sich... finds aber trotzdem toll (hab 1 Jahr als Pflegehelfer in ner Münchner ZNA gearbeitet & bin derzeit in ner anderen Notaufnahme als Einsatz während der Ausbildung) des beste ist aber, dass man nie weis, wie der Tag abläuft... ;)

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  2. was soll ich sagen...bin über umwege zum blog gekommen, und da ich selbst (seit 2 wochen) im letzten ausbildungsjahr hänge ist es so unglaublich witzig wie traurig die texte hier zu lesen...werde das ganze weiterverfolgen, danke schonmal für diesen blog, und besonderer dank für die erste verwendung des "spear tackles" seit geschätzten 8 jahren...

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  3. Yeah! Freut mich sehr wenn ich neue Leser begrüßen darf und dann auch noch "Berufsgenossen".
    Sehr cool auch die (von mir vermutete) Wertschätzung für Goldberg. Ich hoffe ihr bleibt dran!

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