
Der Regen drückt die Menschen in ihre Häuser zurück und übernimmt die Kontrolle. Autos gehorchen nicht mehr. Die Menschen rutschen auf den nassen Bürgersteigen aus und die Hunde wollen nicht mehr aus dem Haus. Die Bewohner der Stadt gehen nicht mehr spazieren, sie hasten durch die Einkaufsstraßen, versteckt unter Regenschirmen und ihrem zugeknöpften Kragen. Der Regen hört manchmal für einige Minuten auf, nur um dann mit einem lauten Donner noch viel stärker wieder anzufangen.
Ein Blitz durchzuckt den dunklen Himmel.
Johannes wacht auf.
Er hat noch sechs Stunden bis zum Abend und genug geschlafen.
Nach der Dusche und dem Zähne putzen, schluckt er dreissig Tropfen Valoron gemischt mit zehn Codeintropfen.
Johannes trinkt einen Schluck Cola, nachdem er eine Diazepamtablette zu sich genommen hat.
Das Zittern lässt nach, die Gedanken verschwinden, sein Körper wird warm und er vergisst Blumtentöpfe in denen kleine Kinder begraben sind. Es ist an der Zeit einen Freund zu besuchen.
***
Es ist ein großes und vor allen Dingen ein schönes Haus. Die Nachbarn schauen, wenn sie den Rasen mähen, neidisch auf die teuren Verzierungen an dem schönen Haus und verfluchen ihren unterbezahlten Job. Obwohl ihre eigenen Häuser nicht viel weniger wert sind, so sind es doch die verschnörkelten Verzierungen an den Fenstern und an der Haustür, die das Haus von Max zu etwas Besonderem machen.
Johannes parkt in der Einfahrt, direkt vor der großen geschlossenen Garage.
Er steigt aus dem Wagen und verflucht seinen unterbezahlten Job.
Maria führt ihn ins Wohnzimmer. Ihre hochhackigen schwarzen Schuhe knallen auf das Laminat und obwohl sie schon über sechzig Jahre alt ist, muss Johannes auf ihre langen Beine schauen. Sie trägt einen schwarzen Rock, den sie mit einem schlichten, weißen Oberteil kombiniert hat. Marias dunkle Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden.
Johannes folgt ihr durch den langen Flur,
"Er ist gerade wachgeworden, Max wird sich freuen, dich zu sehen.", hatte sie gesagt und ihn gelächelt.
"Ich hab schon gedacht, ich seh dich erst auf dem Totenbett wieder.", sagt Max und steht langsam auf um seinen Besucher zu begrüßen. "Bitte bleib sitzen, Max.", Johannes lächelt, aber es ist gespielt. Max sieht schlecht aus, seine Haut ist gelb und die Haare ausgefallen. Die Falten in seinem Gesicht sind tief und unter seinen braunen Augen zeichnen sich dunkel Schatten ab.
Max ignoriert die Aufforderung von Johannes und bleibt stehen. Sie geben sich die Hand, der Gastgeber zeigt auf einen bequemen Ledersessel, der seinem Sofa direkt gegenübersteht. Zwischen den beiden Sitzgelegenheiten steht ein Glastisch auf dem mehrere Medikamentenschlachteln gestapelt sind. Schmerzmittel, Antiobiotika, Vitamintropfen und Tabletten gegen die Nebenwirkungen seiner Chemotherapie. Sie schauen sich beide gegenseitig schweigend an. "Max...", sagt Johannes schließlich.
"Ich weiß, ich sehe scheiße aus.", unterbricht ihn Max, er lächelt immer noch.
"Das wollte ich nicht sagen.", entgegnet Johannes.
"Doch wolltest du, aber Johannes, du siehst viel schrecklicher aus, es ist schlimmer geworden, oder?"
Sein Besucher schüttelt lachend den Kopf. "Was ist das für eine Begrüßung, Max? Mir geht es gut."
"Nein, dir geht es scheiße, was willst du mich anlügen, 'hannes? Es ist nicht so als würde es meiner Leber davon besser gehen, bitte, die einzige Qualität die ich noch habe, ist die Wahrheit und für Smalltalk habe ich keine Zeit mehr."
Johannes schweigt und schaut auf die Medikamente.
Max trägt eine braune Stoffhose und ein weißes Hemd. Er hat eine Wolldecke über seine Beine gelegt und es scheint so, als hätte er das Sofa zu seinem Bett umfunktioniert. Am rechten Ende liegt Bettwäsche. An der Wand hinter Johannes hängt ein großer Flachbildschirm, er ist auf stumm gestellt. Natascha Kampusch zeigt gerade auf einer Karte an welchen Orten der Wohnung sie unter anderem angekettet war. Herr Kerner nickt verständnisvoll.
"Ich kann nicht mehr gut schlafen Max, ich habe Angst zu eskalieren."
Sein Gegenüber nickt. "Und?"
"Und....", Johannes stützt seine Arme auf den Beinen ab, er lässt den Kopf hängen.
"Und, Max, ich weiß nicht mehr weiter, wir hatten letztens einen Einsatz....wir haben ein totes Kind gefunden. Nur durch Zufall, aber wir haben es gefunden. Das hat die Sache nicht besser gemacht, man."
Maria kommt ins Zimmer, das Klackern der Schuhe hatte sie schon angekündigt, sie stellt ein Tablett mit frischem Kaffee auf den Glastisch. Sie beugt sich zu Max rüber und gibt ihm einen Kuss auf die Stirn. "Dankeschön Schatz.", sagt er.
Sie dreht sich um und zwinkert Johannes freundlich lächelnd zu, "Reg ihn nicht auf 'hannes!", als sie an ihm vorbeiläuft um den Raum zu verlassen, streicht sie ihm mütterlich durch die Haare. "Danke Maria.", ruft er ihr hinterher.
"Weißt du, Max, es ist mir peinlich über mein Leben zu jammern. Gerade bei dir, verstehst du?"
"Hör auf damit, ich weiß das du zu keinem Psychiater gehst, und du bist mein Freund, ich freue mich wenn du mich besuchst und wir wissen doch beide, dass es mit mir nicht mehr...lang her ist, wenn ich dir ab und zu mal einen guten Ratschlag geben kann...Johannes hast du eine Ahnung wieviel mir das bedeutet? Erzähl bitte weiter."
Sein Besucher seufzt und redet weiter.
"Max, ich....ja ich und Viola haben unser Kind getötet, wir haben es umgebracht..."
"Erzähl sowas nicht, ihr habt euch eine Woche vorher getrennt, sie hat dich betrogen, es gab schon weniger gute Gründe eine Schwangerschaft zu beenden."
"Ich hätte wissen müssen dass es ein Fehler ist."
"Ich kann mich noch gut erinnern, wie sie mit dir umgegangen ist."
"Vielleicht war das ja auch meine Schuld, Max?"
"Nein.", er schüttelt den Kopf und nimmt einen Schluck aus seiner Tasse. Seine Hand zittert.
"Nein, ein schlechter Mensch braucht keine Gründe um ein schlechter Mensch zu sein."
"Ich habe sie dazu gedrängt."
"Und wenn schon, Johannes, und wenn schon? Was willst du machen? Dein Leben weiter zerstören? Fühlst du dich dadurch besser?"
"Irgendwie schon. Ja, wenn ich am Boden bin, dann gibt mir das Befriedigung. Es ist schon fast pervers.", Johannes schaute an Max vorbei, hinter ihm und dem Sofa war ein großes Fenster, er konnte in den Garten sehen und beobachtete für einen Moment wie sich die Bäume dem Wind und Regen beugten.
"Das ist auch pervers, sogar sehr, aber du bist nicht der Erste dem es so geht. Aber irgendwann muss Schluss sein, es ist jetzt drei Jahre her...wenn du so weiter machst, dann bist du alleine, schau mich an, ich hab Geld, aber das Wichtigste ist Maria!", Johannes nickt und schweigt.
"Meine Mutter hat sich bei meinem letzten Besuch erinnert."
Max' Augen weiteten sich. "Nein. Ehrlich?"
"Ehrlich."
"Das ist fürchterlich. Ein wacher Moment und dann nur für sowas."
"Sie hat gesagt ich soll aufhören, es würden schlimme Dinge passieren."
Max beugte sich über den Tisch.
"Johannes, mach so weiter und es werden fürchterliche Dinge passieren."
***
Kurz bevor er die Wache betritt, schluckt Johannes vierzig Tropfen Valoron.
Er zieht sich alleine in der Umkleide um.
Die Tür geht auf und Stefan kommt herein.
"Guten Abend Herr Kollege.", sagt er gut gelaunt.
"Hallo.", Johannes zieht sich die Jacke an.
"Scheiß Wetter draussen.", sagt Stefan als er sich seine Hose auszieht.
"Wann war das schonmal anders?", fragt sein Kollege.
"Lange her, was meinst du? Ich setz fünf Euro auf mindestens eine gebrochene Hüfte!"
"Ich hab irgendwie das Gefühl, als würden wir heute einen Kotzer erwischen."
"Wie kommst du da drauf?"
"Im Flashdance ist heute Flatratesaufen."
"Scheiße. Und woher weißt du das wieder?", Stefan bekreuzigt sich hastig.
"Stefan, bitte, am Wochenende musst du die Zeitung, also die Discoanzeigen lesen."
Beide gehen in die Mitarbeiterküche in der Hoffnung noch einen Kafffee vor dem ersten Einsatz zu trinken.
***
"Er hört nicht auf zu brechen. Er hört einfach nicht auf zu brechen.", dem jungen Mädchen laufen die Tränen über die Wangen und nehmen die Schminke auf eine Reise bis zum Unterkiefer mit.
"Ist ja gut, wir sehen es doch.", antwortet Johannes, die Scheibenwischer geben alles, doch der Regen ist mittlerweile so stark, dass er ihm fast komplett die Sicht nimmt. "Was für ein Scheißregen.", flucht er.
Der junge Mann erbricht sich wieder in seine dafür vorgesehene Tüte, während Stefan ihm die Schulter streichelt.
"Immer raus damit, man raus damit!", sagt er mit ruhiger Stimme.
"OH GOTT ER HÖRT NICHT AUF!".
"Jetzt halt doch mal die Fresse, Mädchen!", ruft Johannes von vorne. Im Rückspiegel sieht er, wie sie erschrocken zu ihm schaut.
"Ja, vielleicht sollten sie sich wirklich beruhigen. Er hat nur zuviel getrunken.", Stefan gibt dem Jungen eine neue Tüte.
Er trägt ein pinkes Poloshirt, das sich wunderbar mit dem Make-Up seiner Freundin deckt. Sie hat sich Locken in ihre strohlblonden Haare gedreht und ein wenig mit dem Mascara übertrieben, ihre Augenbrauen sind wegrasiert und stattdessen sorgen zwei dicke schwarze Striche für Gesichtsausdrücke. Ihr weißer Rock läßt etwas zuviel Beinfreiheit zu, Johannes hatte ihren Beinen einen langen Blick gegönnt, bevor er ihren Freund in den Rettungswagen geschubst hatte.
Das Mädchen setzt sich auf den Klappsitz und schaut besorgt zu ihrem Freund. Während der junge Mann sein Gesicht in die neue Kotztüte steckt, lächelt Stefan ihr zu. "Wird alles gut, keine Panik.".
"Aber soviel brechen ist doch nicht normal.", sagt sie, etwas weniger aufgeregt als vorher. "Und er sagt gar nix mehr.", fügt sie hinzu. "Ach was, das kennen wir schon, keine Sorge, morgen gehts immer wieder besser.", sagt Stefan.
Johannes kann die Lichter des Klinikums durch den Regen hindurch erkennen. "Gott sei Dank.", flüstert er.
Dann schreit das Mädchen.
Johannes schaut für einen Moment in den Rückspiegel.
Der junge Mann erbricht Blut. Stefan ist aufgesprungen und schaut zu seinem Kollegen, er runzelt die Stirn.
Auf dem Boden hat sich hellrotes Blut verteilt, das Poloshirt von dem Patienten ist rotdurchtränkt. Er bricht weiter.
Im schießt die Flüßigkeit aus der Nase, er versucht Luft zu holen, verschluckt sich, hustet und kotzt weiter.
Das Mädchen hört nicht auf zu schreien.
"BERUHIG DICH MÄDCHEN!", brüllt Stefan. Sie sinkt zu Boden und lehnt sich an die Doppeltüren des Wagens. Ihre Augen flattern.
Johannes drückt das Gaspedal durch und schaltet die Sirene ein.
Stefan greift dem jungen Patienten in den Nacken und drückt seinen Kopf nach vorne, "Raus damit! Halt die Luft an, Junge und kotz!", seine Handschuhe sind mit Blut verschmiert und auch seine Einsatzjacke ist auf der patientenzugewandten Seite vom Blut durchtränkt. "Pass auf dass er sich nicht nochmal verschluckt!", ruft Johannes und lenkt den Rettungswagen in die Krankenhauseinfahrt.
"BAHH SCHEISSE!", schreit Stefan, der junge Discobesucher hat ihn direkt angekotzt.
***
"Der neue Automat ist echt geil, man.", sagte Johannes und nahm noch einen großen Bissen von seiner kalten Frikadelle.
"Ich vermisse die kalten Schnitzel, aber endlich sind die Getränke gekühlt.", Stefan öffnete seine Sinalco.
Sie hatten es sich in der großen Eingangshalle bequem gemacht. An der Rezeption saß eine gelangweilte übergewichtige Frau und schaute apathisch ins Nichts.
"Die sieht aus als hätte sie nen Schlaganfall geschoßen.", sagte Stefan. Johannes grinste.
"Hey, der war gar nicht so schlecht, du machst dich." Sie saßen auf einem großen Sofa, direkt neben dem Eingang. Die Halle war leer und die Fliesen glänzten. Der Reinigungsdienst war schon zu den einzelnen Stationen weitergezogen.
"Ich bekomm den Geruch nicht aus der Nase.", sagt Stefan.
"Nah scheiß drauf, trink deine Sinalco, man, dann gehts vorbei. Sag mal, hast du die Polizistin eigentlich angerufen? Wie hieß sie noch?".
"Sarah, und ja, hab ich, wir waren essen."
"Ihr habt gefickt?"
"Wir waren essen!"
"Ihr habt gefickt, du beeindruckst mich immer mehr.", Johannes hatte die Frikadelle mittlerweile aufgegessen und schaute seinen Kollegen weiterhin grinsend an.
"Naja...kann schon sein, dass wir ein wenig übers Ziel hinausgeschoßen sind."
"Ich wusste es!", Johannes zeigte lachend mit dem Finger auf Stefan. "Du hast sie gefickt, verdammt nochmal, du hast sie tatsächlich gefickt! Boah, ich wette sie hat um ihr Leben geschrien, oder? Zeig deinen Rücken! Ich will die Kratzer sehen?".
Stefan wurde rot und schüttelte den Kopf.
"Aber sag mal.", Johannes redete weiter. "Wie bringst du das mit Jesus in Einklang, so Sex vor der Ehe?".
Stefan schaute ihm ins Gesicht.
"Wie bringst du das mit dem Rettungsdienst in Einklang voll wie ein Medikamentenschrank zu sein?", er grinste.
"Alles vom Doc verschrieben! Ehrlich!",
sie standen lachend auf und gingen in Richtung Ausgang.
Wir leben in einer schönen Welt.
Sind einige Zeitensprünge drin (Präteritum/ Präsens).
AntwortenLöschen__
Der Sprung zwischen der Szene im Rettungswagen und dann das nach den ***, das ist echt fies. Da muss man erstmal runterkommen. Sehr gut.
Ich frag mich, ob Johannes' Charakter ne Entwicklung durchlaufen wird. So stark, wie du da projizierst, ist das ja fast nicht möglich.
Naja, im Prinzip ist im letzten Absatz ja schon eine Entwicklung vorhanden, aber keine Sorge es wird noch einiges mit Johannes passieren und das schon in der nächsten Fortsetzung.
AntwortenLöschen