wie zwei verlierer die welt retteten.

Patientenblog (40) Bang Bang

Bitte lesen sie jetzt.

Im dritten Lehrjahr bemerkte man eine Veränderung bei den Lehrern, auf einmal war alles "uuunfassbar wichtig!".
Irgendwie hatte ich das Gefühl die FSK 18 passiert zu haben, wir wurden mit brutalsten Filmen und Bildern beschmissen.
Los ging es mit Herrn von Hallern, einem europaweitbekanntem Wundexperten, Herr von Hallern hatte eine kleine Best Of Notaufnahme Powerpoint Präsentation für uns vorbereitet, diese Präsentation zog sich über zwei Stunden hin. Tatsächlich mussten einige der angehenden Krankenschwestern den Klassenraum verlassen.

Als nächstes gab es einen Vorbereitungstag zum Thema "sexueller Missbrauch". Ein externe "Expertin" ballerte uns zehn Stunden lang mit Vergewaltigungsgeschichten und Horroranekdoten zu. Der finale Höhepunkt waren zwei Bilder kleiner Kinder (Geschwister) und ihren, aus sexuellem Missbrauch entstandenen, Verletzungen. Ich befand mich in einem Berg von Broschüren, Ratgebern und gruseligen Kinderbüchern zum Thema "Vergewaltigung". Pedobär und so.

Wir verbrachten ein komplettes Wochenende in einer Jugendherberge um uns über das Thema "Sterben" auszutauschen.
Eine vernünftige Sache, möchte man meinen.
Ja klar, aber bitte nicht 48 Stunden am Stück, das ist echt anstrengend und beeinträchtigt auch irgendwie die allgemeine Moral des Kurses. In einem, meiner über alles geliebten, Gesprächskreise wurden wir gebeten aus unserem eigenen Leben und den Erfahrungen mit Tod und Sterben zu berichten. Plötzlich hatte jedes Mädchen eine angeheiratete Stiefgroßmutter die erst gestern gestorben war.
Sofort rannten die Damen die unter einem extrem ausgeprägten Helfersyndrom litten zu jeder Klassenkameradin die auch nur ein Tröpfchen Tränenflüssigkeit zu vergiessen schien. Grüppchenbildung zum allgemeinen Heulen.
Es war furchtbar, zumal man merkte, dass die Leute, die wirklich etwas sagen wollten die ganze Zeit still auf den Boden blickten.
Der finale Höhepunkt war auch dieses Mal extrem anschaulich, uns wurde ein lehrreiches Video gezeigt,
nachdem ein Gerichtsmediziner eine Stunde lang ausgefragt wurde, was er von seinem Beruf denn so halte, wie es gesellschaftstechnisch angesehen wäre und sonst noch alles was mit Ethik und Moral zu tun hat, nachdem das Aufnahmeteam mit dem Interview fertig war, filmten sie den Gerichtsmediziner dabei, wie er einen toten Säugling zerlegte.

Im Krematorium begrüßte uns ein junger Mann, dem BWL auf die Stirn gestempelt war, mit den Worten:
"Schön dass ihr jetzt schon da seid, wir hätten uns aber eh früher oder später hier gesehen!".
HA! BRÜLLER!
Ich hatte von dem vorherigen Kurs mitbekommen, dass die Jungs und Mädels bei einer Autopsie dabei sein durften. Das hätte mich natürlich mehr interessiert, aber bei dem Termin ist zu der Zeit wohl etwas schiefgegangen und anstatt bei der Autopsie eines alten Mannes zuzuschauen, durfte der vorhergehende Kurs bei der Autopsie einer jungen Frau dabei sein. Von daher fand ich den Ausweichtermin im Krematorium gar nicht so schlimm.
Und ja, wir durften dann auch in einen Ofen, in dem jemand eingeäschert wurde, schauen. Ich komm mit den Begrifflichkeiten ins Schwimmen. Tiefe Gewäßer hier, so mit Offen, Brennen, Gas, fehlt nur noch Schornstein und Zahngold.
Der junge Mann, dem die finanzielle Führung des Krematoriums oblag, schaffte es sogar noch unserer Klassenschönheit ein Date abzuschwatzen. Meinen Glückwunsch.

Aber all diese ganzen Vorbereitungen können einen nicht vorbereiten, mich zumindest nicht. Das Einzige was mir auffiel, war die besondere Stellung des Todes. Natürlich, der Tod ist etwas Besonderes und mit großen Einschnitten verbunden. Ganze Welten sind wegen toten Kaisern und Müttern zerbrochen, aber dennoch war er bis zum letzten Jahrhundert etwas Normales. Alltäglich, Tote wurden nicht selten im Wohnhaus aufgebahrt, kleine Kinder sind zu Beerdigungen mitgegangen und meist wurde zu Hause gestorben. Mittlerweile ist der Tod selber ein totes Thema.

Einige der Leser hier werden das sicherlich kennen, man ist zu Besuch bei der Familie, oder auch bei einem befreundetem Pärchen.
Gesellschaftsspiele, Wein, gutes Essen, man ist etwas beschwipst und von politischen Themen kommt man zu persönlichen Berichten. Irgendwann will der Krankenpfleger etwas sagen und wird dabei harsch unterbrochen. Wovon hat er geredet?
Vom Tod!
Es ist eigentlich egal wo und wann, über das Sterben wird einfach nicht geredet, das gehört sich nicht! Problematisch wird es nur wenn der Beruf den man ausübt, und von dem man ja eh viel erzählt, somit tabuisiert wird. Nicht so schön, man schleppt monatelang irgendwelche Bilder von der Arbeit mit sich herum und kann es mit niemandem teilen, beziehungsweise sich die ganze Last mal wegreden. Gott sei dank, arbeite ich nicht bei der Kripo oder bei der Bundeswehr.

Im Endeffekt ist das alles auch egal, ich habe perverse Freude daran in den unpassendsten Momenten von
"Toten die sich zustuhlen." und
"bei Drehung sprechenden Leichen" zu reden. Meine Rache, fuck you, wenn mir niemand zuhört, dann muss ich zur Gewalt greifen.
Natürlich ist das keine Lösung, aber es ist zumindest großer Spaß. Und Spaß ziehe ich jeder rationalen Lösung vor.

Ich bin großer Verfechter der "Wir werden alle schmerzvoll und brüllend vor Qualen verrecken"-Theorie. Mein Herz springt vor Freude wenn jemand in meiner Reichweite davon redet "hoffentlich im Schlaf zu sterben", denn mal drüber nachgedacht
ob du nicht vielleicht vorher aufwachst?

Danke für die Aufmerksamkeit.

PS:
Narcanti, wo bleibt den Gastbeitrag?

8 Kommentare:

  1. Jaahaa, Spätschicht und so...komme übrigens direkt ausm Hospiz *hust*

    Von daher ist grad der Tod so ne Sache...ich kann deine Meinung hier nur eingeschränkt teilen...die Idee, friedlich im Schlaf dahin zu scheiden ist schon eher utopisch, wenn man nicht gerade vorher n paar Jahre mit ALS oder so durchgemacht hat...und ob ich mich dann über eine letzte Nacht freuen kann, naja...

    Im Hospiz sieht die ganze Sache irgendwie sehr anders aus...der Tod ist gerade da nunmal omnipräsent, dem Personal und den Angehörigen meist mehr als den Patienten selbst; denn auch wenn die wissen, weshalb die da sind stirbt die Hoffnung als allerletztes...viele kommen eben mit falscher Analgesie ausm Krankenhaus oder von zuhause und sind entpsrechend am leiden und verfluchen alles und jeden; im Hospiz gibts dann erstmal ne gute Ladung Methadon, diverse Antidepressiva, Neuroleptika und was halt sonst noch so rumsteht => Der Patient ist schmerzfrei, kann möglicherweise sogar wieder n paar Meter laufen, essen usw...das fatale daran ist eben dass dadurch auch die Tatsache, dass man zB einen aggressiv infiltrierendes Colon-CA oder so schonmal vergisst...bis man dann nach erfolgreicher Miseré vom Nachtdienst gefunden wird...soviel zum "friedlich einschlafen"

    Naja...in unserm Kurs isses dann aber wieder so wie von dir schon beschrieben...die Mädels leiden alle Höllenqualen wenn "die süße Oma von Station xy" gestorben ist und heulen sich gegenseitig einen vor....wobei einem da aber auch auffällt wie unglaublich naiv viele mit dem Thema umgehen...und Autopsien oder sowas gibts bei uns an der Schule wohl eh nicht; hab glücklicherweise einiges an chirurgischen Eingriffen gesehen, weiss also in etwa, die das alles so ausschaut...

    so, das wars auch schon, hatte wohl doch mehr Redebedarf als ursprünglich erwartet...wobei ich nur nochmal sagen will, dass die Arbeit im Hospiz unglaublich Spaß macht; das erste mal in den gut 2 Jahren Ausbildung dass ich das von der Pflege sagen kann...es wird sich wirklich um den Patienten gekümmert, es ist scheiss egal wer wann wie gewaschen wird, solang es dem Patientenwunsch entspricht...etwas, was ich mir wohl auch für die letzten Tage wünschen würde...einfach voll mit Methadon (und/oder Cannabis) liegen, schlafen und dann eben wirklich nur einzupennen irgendwann...hoffentlich wirds nur n Hirntumor

    blabla, danke fürs lesen

    achja, security code ist übrigens "reste"...ein schelm, wer böses denkt

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  2. AAAAAAAAAAHHHHHHHH!!!!!
    drecks-google-comment-system....hatte grad ma locker 2000 zeichen getippt und google kanns ned verarbeiten...der hurn...oke, dann teil ich das jetzt auf und versuche nochmal das ganze so schön auffe kette zu kriegen wie ichs grad hatte....aggro hier, echt ey...mein block man!!!

    also, komme grad vom spätdienst ausm hospiz; gutes thema also

    kann deine meinung hier nur eingeschränkt teilen.
    zuerst mal haste natürlich recht was das "friedlich einschlafen" angeht...ist mir klar geworden nachdem ein patient im hospiz, der mit seinem methadon, haldol und diversen antidepressiva gut eingestellt war, morgens um 4 nach erfolgreicher miseré vom nachtdienst gefunden wurde...bestimmt sehr friedlich von statten gegangen

    /part1

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  3. so, weiter im text...was du zum schulischen teil hast is auch sone sache...mal davon abgesehen, dass unsere geile schule es eh nicht auffe kette kriegen wird uns mal ne autopsie zu zeigen ("keine pflegerelevanz") hab ich immerhin das glück durch vitamin b, coolen zivildienst, rettungsdienst usw schon einiges gesehen zu haben...sei es auf der strasse oder eben im op selbst; hab also ne ungefähre vorstellung davon wie das alles so ausschaut (hab n faible für anatomie als solche, n grund weshalb mir n studium vorschwebt, aber das ne andere geschichte)

    aber unsere mädels - die wie gesagt schwer in der überzahl sind - stehen deinen in nix nach...wenn da nachm praxisblock erzählt wird dass "die süße frau abc von station xyz gestorben ist" dann wird kollektiv geheult und geschnieft und getröstet und blablabla...für mich nur nen zeichen dafür wie unglaublich naiv viele noch mit dem thema umgehen...nicht sehr zufriedenstellend, vlt wär ne autopsie doch mal ganz angebracht

    /part 2

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  4. und zu guter letzt muss ich aber hier nochmal ganz klar sagen dass die arbeit im hospiz unglaublich gut ist...so paradox das klingen mag, aber pflege von sterbenden in diesem umfeld macht tatsächlich spaß...es wird auf den patienten eingegangen, rücksicht genommen, und es ist einfach scheissegal ob, wann und wie der patient gepflegt wird, solange es seinen wünschen entspricht...von daher hoffe ich, die letzten tage voller methadon (und/oder cannabis) in nem bett zu pennen und irgendwann wirklich nur die atmung einzustellen...hoffentlich wirds nur n hirntumor und nix am colon

    so, danke fürs lesen, hatte wohl doch etwas mehr redebedarf als ich dachte

    /part 3

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  5. oha...danke ihr google-wichser, jetzt habters doch auffe kette gekriegt...naja, in diesem sinne, schönen abend noch...hurn!

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  6. SPAM!!!!111

    Hm, ich glaub ich bring mich um, wenn ich weiß, dass es zu Ende geht.
    Bei Alzheimer sowieso, aber das ist ein anderes Thema.
    Son schmerzhafter Kotz-Stuhl-Tod, neee, lieber Kavorkian-Style.

    Bei Drehung sprechende Leichen??? What the fuck? Ich möchte sofort die wissenschaftlichen Theorien dazu erfahren. Gibt's nen offiziellen Namen für diese Erscheinung?

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  7. Naja, ich bin jetzt mal (brutal) ehrlich. Dazu sei gesagt, dass dies einfach nur subjektive Erfahrungen sind.

    Es passiert selten, weil die Meisten sich während des Sterbeprozesses schon einstuhlen, aber häufig, wenn du sie dann in der Pathologie umlagerst, gibts noch mal ein sehr lautes Darmentleeren.


    Tatsächlich ist es mir und zwei Kollegen schon passiert, dass ein toter Patient beim Drehen rülpst, dadurch dass es so still im Zimmer und man ja abergläubisch ist, kann man sich da schnell ein Wort einbilden.

    Narcanti, danke für dein Feedback. Sehr nett von dir, dir solch eine Mühe zu machen.
    Wie sieht das in eurem Hospiz aus mit der Burnout Rate?
    Noch eine Frage, machst du eine Ausbildung im Hospiz? (Geht das überhaupt?) Oder ist das dein derzeitiger "Praktikumseinsatz"?

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  8. ne, hospiz is nur mein derzeitiger einsatzort, bin da ca 7 wochen, unterbrochen von nem schulblock...

    also, was ich bisher in den rund 4 wochen so gesehen habe spricht in jeder hinsicht für das hospiz; die kollegen dort sind zum einen sehr froh, dass sie dort mal ne richtige, konzentrierte pflege leisten können (viele kommen ausm intensivbereich), man hat immer nen doc als ansprechpartner und kann halt insgesamt wirklich ordentlich arbeiten.

    ich denke, das sind alles faktoren, die zu nem sehr homogenen, eingespielten team beitragen, welches wiederum nen super arbeitsklima schafft...ich habe selten so kollegiale, wirklich freundschaftliche teams gesehen wie im hospiz...

    berichten der examinierten nach ist es natürlich hart wenn gerade junge patienten (keine kinder, aber eben 30-40) für nen längeren zeitraum im hospiz versorgt werden und dann irgendwann sterben; sowas geht den leuten nach wie vor nahe.
    aber dank des erwähnt guten arbeitsklimas wird man da gut aufgefangen; somit stellt sich sowas wie resignation oder eben burnout-symptome eher selten ein.

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